Festvortrag

des Schulleiters OStD Michael Heuking

anlässlich der Verabschiedung der Abiturientia 2019

Liebe Festversammlung  und – in Anlehnung an unser diesjähriges überaus geistreiches und identitätsstiftendes, bewusst oder unbewusst nicht genderneutrales  Abiturmotto – liebe Abilympierinnen, liebe Abilympier, liebe Abiturientia 2019!

Zum „Feste“- Feiern haben wir allen Grund.

Die zu Ehren des omnipotenten Göttervaters Zeus ausgerichteten olympischen Wettkämpfe gehen heute unausweichlich dem Ende zu.  Am heutigen Fest- und Ehrentag, dem unumstritten bedeutendsten Freudentag im Jahreszyklus unserer durch unsere zauberhaften Göttinnen und Götter geadelten und geheiligten Abikropolis,  haben wir im Rahmen einer festgelegten Liturgie die einmalige und unvergesslich bleibende Gelegenheit, mit unseren selbsternannten olympischen Göttinnen und Göttern durch ein spektakuläres, angemessenes und „maß-volles“ Trankopfer in solidarischer Eintracht die „Freude schöner Götterfunken“ zu teilen. Zudem haben wir die zu nutzende Gelegenheit, ja die Verpflichtung,  unseren vergöttlichten Sprösslingen unseren höchsten Respekt für Ihr wirksames, auf Nachhaltigkeit angelegtes Engagement zu erweisen und sie bei ihrem transzendenten Abstieg von dem ihnen vertrauten und damit auch liebgewonnenen Olymp im Wechselbad der Gefühle solidarisch und sozusagen „Händchen haltend“ menschlich zu begleiten. Ehre, wem Ehre gebührt, und exakt aus diesem Grunde wollen wir nach fester Arbeit heute gemeinsam „feste“ feiern und zum Auftakt dieses elysischen Festaktes unserer erfolgreichen olympischen Göttercrew einen donnernden, Zeus ähnlichen Applaus zollen.

Liebe Abiturientinnen, liebe Abiturienten!

Eins vorweg: Euer aus der griechischen Mythologie entlehntes Abiturmotto „Abikropolis – die Götter verlassen den Olymp“ gefällt mir sehr, zumal ich mich schon als Kind gerne träumerisch in die visionäre Welt der Märchen und Mythen begeben habe. Ich gestehe aber schon jetzt freimütig ein, dass meine Überlegungen aufgrund der enzyklopädischen Vielschichtigkeit und aufgrund der Komplexität der Thematik  heute unvollständig und damit unvollendet bleiben müssen und daher lediglich zukunftsweisenden und – so hoffe ich – nachhaltigen Anregungscharakter haben können.

Euer tiefsinniges und lebensfrohes Motto hat in der Tat etwas Be- und Verzauberndes in sich und lädt in unserem entzauberten globalen Dorf zum visionären Träumen ein. Das von euch in mühevoller Schweißarbeit kreierte programmatische Abikropolis-, vielleicht ja sogar Lebensmotto passt zu euch, mag es auch – vordergründig betrachtet – provokativ klingen und für den religiös Empfindsamen sogar blasphemisch, da es einen prometheischen Anstrich hat. Dass eine irrationale Tätigkeit wie das visionäre Träumen irrtümlicherweise nicht mehr in unsere aufgeklärte, faktische bzw. postfaktische Gigabitgesellschaft zu passen scheint, eine Gesellschaft, die – zunehmend mehr entmündigt – um das Goldene Kalb des pseudoreligiösen Dataismus tanzt und sich davon unausweichlich beherrschen lässt. Dabei droht das Menschlichsein, aber auch das Menschsein als solches zu ersticken und entseelt zu  werden.  

Es bietet sich daher immer wieder an, sich sozusagen lebensbegleitend mit der Programmatik der visionären Romantik, die in dem Gedicht von Novalis aus dem Jahre 1800 zum Tragen kommt, auseinanderzusetzen, da diese Programmatik ein – wie ich meine – wirksamer und sinnvoller Schutz gegen lähmende Desillusionierung und gegen die Entzauberung bzw. Entemotionalisierung der Welt sein könnte:

„Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren
Sind Schlüssel aller Kreaturen
…”

Mythen sind – das ist wahr – zwar nicht im eigentlichen (aufklärerischen) Sinne real, Mythen sind aber wahr und lebendig, weil sie absolut selbst-wirksam sind, genauso wie die Mythen über die griechischen Göttinnen und Götter, die sich von uns Menschen kaum unterscheiden, außer dass sie, obwohl anthropomorph, unsterblich sind. In den Mythen begegnet uns das Leben sinnbildlich und konkret – etwa in Zeus, der sich in eine Dame verliebt, sich wegen seiner eifersüchtigen Gattin in einen weißen Stier verwandelt und mit jener Dame, Europa genannt, nach Kreta schwimmt:

Zeus

Im Himmel machte er die Blitze,
auf Erden aber lieber Witze.

(Heinz Erhardt, 1909-1979)

An Vorbildern ist die griechische Mythologie zwar nicht arm, aber gerade in der Chefetage gibt es bedauerlicherweise wie im richtigen Leben den einen oder anderen verhaltensoriginellen Gott. Denken wir dabei an den Schürzenjäger Zeus (Iupiter), Göttervater, Herrscher über Himmel, Blitz und Donner, der sich – wir haben es bereits gehört – hilflos/ hinfälligen Mädchen gern in Verkleidung nähert und für seine Ausraster und wenig staatsmännischen Aktionen legendär ist, oder an seine Frau Hera (Iuno), Familiengöttin, zuständig für Hochzeit, Mutterschaft und Geburt, die für ihre Wutausbrüche bekannt ist. Denken wir an Athene (Minerva), die dem Haupte des Zeus entsprungene jungfräuliche Göttin der Weisheit, sozusagen eine Kopfgeburt, Stadtgöttin Athens und Schutzherrin der Künste und Wissenschaften, oder an (Ares) Mars, den Gott des Krieges und der Schlachten, an Poseidon (Neptun), den Gott des Meeres, der Erdbeben und Pferde, an Apollon (Apollo), den Gott der Poesie, der Musik, der Leuchtkraft, der Pest und der Prophetie, an Hermes (Mercurius), den Gott der Diebe, des Handels und der Reisenden und zugleich Götterbote, an Hephaistos (Vulcanus), den Gott der Vulkane, der Schmiedekunst und der Architektur, der zusammen mit den Zyklopen für Zeus die Donnerkeile schmiedete, an Hestia (Vesta), die jungfräuliche Göttin des Herdfeuers und der Familieneintracht, an Aphrodite, die Göttin der Liebe und Schönheit oder auch an Bacchus (Dionysos), der erst später als Gott des Weines und der Exstase in den Kreis der Olympier aufgenommen worden ist, übrigens – den Voyeuren unter uns sei es gesagt – ebenfalls ein außerehelich gezeugter Sohn des Zeus.

Ganz ähnliche Charaktere, Eigenschaften, Talente und Leidenschaften finden sich auch bei unseren liebenswerten Abilympierinnen und Abilympiern, die sich auf dem mitunter beschwerlichen Weg zum Abilymp im Sinne einer Vergöttlichung engagiert, kreativ und erfinderisch im Durchdringen der abilympischen und mitunter auch titanischen Herausforderungen zeigten und in den zurückliegenden Jahren Zeit und Raum gefunden haben, den göttlichen Funken zu entdecken, ihn in sich aufzunehmen und bei ihren Mitmenschen zu entzünden. Beeindruckende Leistungen in Musik, Sport, Kunst, Theater und vielen weiteren Projekten, die sich an dem Leitbild unserer humanitär ausgerichteten Europaschule orientierten und somit zur kulturellen und sozialen Vielfalt des Lebens- und Lernortes beigetragen haben, euer verantwortungsvolles Engagement im internationalen Schwerpunkt unseres Gymnasiums und eure durchgängige, kompetente und sehr verlässliche Mitverantwortung für gelingendes Miteinander in unserer Schule, vor allem auch in der SV, stehen ausdrucksstark für das göttliche und damit vorbildliche Grundprinzip der Abilympier 2019: Die Würde des Menschen, das Streben nach Gutem und Großem, die Entfaltung der Person und das Nützliche im Dasein für und mit anderen. So ist eure Zukunft auf guten Bahnen, in die Wege geleitet, ist der Abilymp Symbol eines erfüllten Traums und eines großen programmatischen Ziels und bietet – wenn jeder dieses endgültige Ziel beharrlich im Blick behält  – beste Gelingensvoraussetzungen für ein Leben im Zustand der Eudaimonie, d.h. für ein sinnhaftes, friedliches und erfülltes Leben in Gemeinschaft und auf Gegenseitigkeit.

Liebe Abiturientinnen, liebe Abiturienten!

Euer Etappenziel habt Ihr erreicht, Eure Eltern und Lehrer, die ihr mit eurem Abimotto als Ausdruck eures Dankes  berechtigt in den Rang der Titanen erhoben habt, freuen sich sichtlich mit euch und sind mächtig stolz auf euch. Es nimmt nicht Wunder, dass die von euch Geadelten eure herkulischen Prüfungen in Umfang, Schwere und zeitlicher Komprimierung als götterähnliche Prüfungen verstehen mussten und mit umso titanischerem Bewusstsein das Erreichen eures Abilymps bestaunen, bejubeln und begießen. Aber – bei allem Respekt – mal ehrlich: Hättet ihr euren Abilymp erreicht, wenn ihr nicht von so vielen Seiten Unterstützung erfahren hättet, nicht selten sogar Unterstützung im symbiotischen Sinn, eine Unterstützung, die mit Freude, aber auch mit Leid verbunden ist? Ich erbitte jetzt von unseren Göttinnen und Göttern ein ganz herzliches an die Titanen gerichtetes Dankeschön, an dem auch der mitunter tosende Zeus seine Freude hätte: standing ovation nennt man das!

Und nun ein Letztes:

Ich wünsche euch, dass der olympische Funke in euch zu einer hellen Flamme auf eurem Lebensweg werden möge – für euren eigenen Weg und für den Weg mit anderen, die euer Leben kreuzen, verändern und bereichern!

Und nun ein Allerletztes:

Verlernt das Träumen nicht!