Briefe und Bilder gegen die Corona-Tristesse / Gymnasium Haren ausgezeichnet
Von Tobias Böckermann
Haren. Das Gymnasium Haren ist als humanitäre Schule ausgezeichnet worden. Aus einer eher theoretischen Beschäftigung wurde dabei ernst: Denn 200 Schüler haben Senioren aus Haren und Lathen Briefe geschrieben oder Bilder gemalt und ihnen damit einen „Sonnenstrahl in Corona-Zeiten“ geschickt.
Letzteres sagt dabei nicht die Schule selbst, sondern Kerstin Frye vom Haus St. Marien in Lathen. Aber der Reihe nach. Das Gymnasium Haren wurde schon vor zehn Jahren erstmals als „Humanitäre Schule“ ausgezeichnet. Die gleichnamige Kampagne hatte 2004 das Jugendrotkreuz Niedersachsen ins Leben gerufen, und ihr Ziel ist ebenso schnell gesagt wie mühsam in die Welt zu bringen: Menschlichkeit soll gefördert werden und damit humanitäres Engagement.
„Ihr seid nicht allein“
Die am Projekt teilnehmenden Schülerinnen und Schüler simulieren dabei stets einen fiktiven internationalen Konflikt, der dann im Rahmen des Planspiels „h.e.l.p.“ (Humanitäres Entwicklungs- und Lernprojekt) gelöst werden soll. Dafür schlüpfen einige Schüler in die Rolle eines Moderators und Gesandten der Vereinten Nationen und lassen sich dafür eigens bei einem Lehrgang nahe Hannover zu „Humanitären Scouts“ ausbilden.
Die Corona-Krise mit ihrem zeitweiligen Verbot jeglicher Außenkontakte für gefährdete Personengruppen brachte dann im Jahr 2020 einen unerwartet so gar nicht fiktiven, sondern einen sehr aktuellen Anlass, um über den Zusammenhalt unserer Gesellschaft nachzudenken. Beteiligt waren zunächst Schüler des Politik-Leistungskurses des Jahrgangs 12 unter Leitung von Christian Rinné sowie einige Schülerinnen und Schülern des Jahrgangs 11.
Sie selbst konnten damals wochenlang nicht mehr in die Schule. Und die Senioren der Seniorenresidenz Altharen und des Seniorenzentrums St. Martinus sowie die Bewohner im Haus St. Marien in Lathen durften nicht nur nicht mehr nach draußen, aus Sicherheitsgründen bekamen sie auch praktisch keinen Besuch mehr.
Deshalb wählten die Schüler für ihr humanitäres Projekt, dessen Durchführung ebenfalls Voraussetzung für die Zertifizierung der gesamten Schule ist, folgende Vorgehensweise: Die Schüler des Leistungskurses bemühten sich online (denn der Schulbesuch war ja nicht möglich) darum, dass andere Schüler des Gymnasiums, egal welchen Jahrgangs, sich mit Briefen, Bildern oder Postkarten an die Bewohner der genannten Einrichtungen wandten. Motto: „Ihr seid nicht allein, wir denken an euch!“
Kaum Außenkontakte
Und sie hatten Erfolg: 200 machten mit. „Es ging darum, die Bewohner aufzumuntern“, berichteten Theresa Janssen und Kristin Schoknecht, die die Rolle der UN-Scouts übernommen hatten und dafür sehr gelobt wurden. „Und es ging darum, die eigenen Sorgen zu teilen und sich nach den Sorgen der Senioren zu erkundigen.“ Ehrliches Interesse also, Anteilnahme am Leben jener, die sich in Coronazeiten extrem einsam gefühlt haben müssen und vielleicht es vielleicht bis heute sind.
Ein Akt der Humanität, der bei den Bewohnerinnen und Bewohnern dankbar aufgenommen wurde, wie Helma Thyen und Ina Schoneville vom Seniorenzentrum St. Martinus sowie Hedwig Hebbelmann und Kerstin Frye vom Haus St. Marien in Lathen berichteten. „Die Bewohner hatten das Gefühl, dass sich jemand Gedanken um sie macht“, sagte Kerstin Frye. „Das war wie ein Sonnenstrahl, der hier hereinkam.“
Leiterin Hedwig Hebbelmann erklärte, im Haus St. Marien lebten psychisch Erkrankte auch jüngeren Alters, denen in Coronazeiten das normale Leben sehr gefehlt habe. „Die Situation war monatelang extrem belastend.“
Und Helma Thyen vom Martinusstift erinnerte sich, die Senioren seien froh gewesen, dass man sie nicht vergessen habe und dass sie sich das sicher auch in anderen Zeiten so wünschten. „Die jungen Menschen und die Senioren hatten wegen Corona sehr ähnliche Ängste. Sie zu teilen, tat beiden gut.“ Die Botschaften der Schüler hätten den Senioren ein Lächeln ins Gesicht gezaubert, und während die Schüler selbst vom Projekt berichteten, wurde deutlich, dass das umgekehrt ganz ähnlich gewesen sein dürfte.
„Wo bleibt der Mensch?“
Dankesbriefe gab es dann zurück, unter anderem ein Bild aus der Seniorenresidenz Altharen mit den bunten Fingerabdrücken der Bewohner.
Damit war das „Humanitäre Projekt“ der Harener Gymnasiasten ganz so geraten, wie ihr Schulleiter Michael Heuking es eingangs in seiner Begrüßungsrede umrissen hatte. „In der Krise zeigt sich der Charakter“, sagte er und plädierte leidenschaftlich für ein gesellschaftliches Umdenken, das die Menschenwürde zur Basis allen Handelns werden lasse. „Wir kennen vor allem den Preis, aber nicht den Wert“, meinte er. Alles sei auf wirtschaftlichen Nutzen und auf bestmögliche Ergebnisse ausgerichtet. „Aber wo bleibt da der Mensch?“
Eine Antwort haben seine Schüler in diesem Jahr und auch schon in den Vorjahren in anderen humanitären Projekten gegeben. „Es gab bei diesem Projekt nur Gewinner“, bilanzierte Schulleiter Michael Heuking.
aus: Meppener Tagespost, Ausgabe 22.09.2020, S. 13