
Oscar Wilde – Zwischen Glanz und Tragik
Oscar Wilde; ein Mann, der in der Gesellschaft des viktorianischen Englands keinen Platz zu haben schien. Oder etwa doch? Während sein Werk “Das Bildnis des Dorian Gray” zu heutigen Zeiten Gegenstand zahlreicher Gespräche über englischsprachige Literatur ist und dabei von allen Seiten Lob und Anerkennung erlangt, war der Roman ein maßgeblicher Katalysator für Wildes gesellschaftlichen Untergang und – so überspitzt es auch klingen mag – im gestreckten Sinne auch für seinen Tod.
Wilde war schon zu Lebzeiten keine unbekannte Persönlichkeit. Geboren am 16. Oktober 1854 hatte er bereits in jungen Jahren viele Berührpunkte mit der Ästhetik und Kunst. Seine Mutter betrieb einen Salon in der irischen Hauptstadt, der als Brennpunkt für die einflussreichsten Kulturschaffenden der damaligen Zeit galt. Seine literarischen Ambitionen katapultierten Wilde schnell in die hohen Kreise Londons. Genuss, Vergnügen und Schönheit sind zentrale Gegenstände seines Alltags und seiner Schriften. Obwohl der extravagante Lebensstil des Schriftstellers und dessen uneingeschränktes Liebesleben – an welchem sowohl Frauen als auch Männer teilhatten – neben Bewunderung und Faszination auch Kritik ernteten konnten seine Satire und sexuelle Ungebundenheit Wildes gesellschaftliche Stand noch nicht streitig machen.
In gewisser Weise ähnelt diese Seite seiner Persönlichkeit stark der namensgebenden Hauptfigur seines ersten und einzigen Romans, “The Picture Of Dorian Gray” (1891), welchen er aus dem Grund verfasste, einem Freund zu beweisen, dass er es konnte – zuvor widmete er sich nämlich Theaterstücken, Kurzgeschichten und Lyrik. Der Roman handelt von einem jungen Mann, dessen Streben nach Schönheit und Sinnlichkeit so groß ist, dass er sich wünscht, statt seiner würde ein Portrait von ihm altern. Dieser Wunsch geht in Erfüllung, der Preis dafür zahlt Dorian Gray jedoch mit seiner Seele – die Erzählung begleitet den moralischen Verfall, den die Figur erlebt, welche sich jedoch nur in seinem Portrait zeigt, das über die Jahre zu einer hässlichen, verzerrten Darstellung des Mannes wird. Dorian Gray spiegelt zahlreiche Werte Wildes wider, allem voran die Ästhetik und die Liebe für das Vergnügen, während Grays Person zur gleichen Zeit als Kritik an der hohen viktorianischen Gesellschaft wahrgenommen werden kann, die mit Schönheit instabile moralische Werte überdecken wollte.
Der Roman sollte neben einem Herren namens Lord Alfred Bruce Douglas das Leben Wildes aus dem Gleichgewicht bringen. Die beiden Männer lernten sich 1891 kennen. Ihre Liebe zur Literatur verband sie und führte zu einem Verhältnis, welches durch zahlreiche Briefe belegbar ist. Während ihrer Beziehung befand Wilde sich auf dem Höhepunkt seiner Popularität zu Lebzeiten: Mit “The Importance Of Being Earnest” (1895) verdiente er sich große Anerkennung, insbesondere aufgrund des Witzes und der Schlagfertigkeit des Stücks. Im selben Jahr tat er jedoch etwas, was heute so wie damals als ein fataler Fehler gilt:
Der Marquess von Queensberry, der Vater von Wildes Liebhaber, war deren Beziehung gegenüber nie befürwortend gesinnt und versuchte mit allen Mittel und Wegen, die beiden auseinanderzubringen. Aus diesem Grund beschuldigte Queensberry Wilde öffentlich der Homosexualität, woraufhin dieser den Marquess, gedrängt von Lord Douglas, der Verleumdung anklagte. Diese Anklage feuerte jedoch um ein Vielfaches zurück: Vor Gericht wurde eine umfassende Beweislage vorgelegt, unter anderem bestehend aus Briefe, Zeugenaussagen, sowie Aussagen getätigt von Männern, mit denen Oscar Wilde mutmaßlich intim gewesen sein soll, welche schlussendlich dazu führten, dass er aufgrund “grober Unanständigkeit” mit gleichgeschlechtlichen Partnern verurteilt wurde.
“The Picture Of Dorian Gray” spielte als Beweisstück ebenfalls eine entscheidende Rolle: Es wurde sich auf die Kritik, unter der sich der Roman schon bei seiner Veröffentlichung befand, sowie deren Gegenstand bezogen, wobei es sich besonders um die Beziehung Basil Hallwards und der Hauptfigur drehte, welche “unsittliche Neigungen” andeutete. Es hieß der Roman diene als Spiegelbild Wildes Person, insbesondere in seiner “moralischen Verwerflichkeit”, was der Autor jedoch bestritt, denn er würde Kunst nur um der Kunst Willen schaffen. Sein Schicksal war jedoch besiegelt, und so wurde er zu zwei Jahren Haft in einem “Zuchthaus” verurteilt, in dem er über diesen Zeitraum harte Zwangsarbeit leisten musste. Trotzdem schrieb er weiterhin Briefe an seinen Liebhaber.
Die Haft brach die Seele des Künstlers. Nach seiner Entlassung 1897 traf er Lord Douglas wieder, jedoch endete die Beziehung wenige Monate später. Wilde floh nach Paris – ohne Geld, ohne gesellschaftlichen Stand – und verfasste dort sein letztes Werk, “The Ballad Of Reading Gaol”, in welchem er seine Erfahrungen im “Zuchthaus” verarbeitete. Am 30. November 1900 verstarb er schließlich in Armut und Einsamkeit – vermutlich – an einer Hirnhautentzündung. “My wallpaper and I are fighting a duel to the death. One or the other of us has to go.” (z.d. “Meine Tapete und ich kämpfen in einem Duell bis auf den Tod. Entweder der eine oder der andere muss gehen.”) sollen seine letzten Worte gewesen sein.
Oscar Wilde ist bis heute eine bedeutende Persönlichkeit in der Literatur; zur gleichen Zeit aber auch ein Denkmal dafür, wie weit unsere Gesellschaft gekommen ist. An der Inakzeptanz der damaligen Gesellschaft ist ein bemerkenswerter und einzigartiger Künstler verloren gegangen, der bereits zu seiner Zeit als zentraler Vertreter des Ästhetizismus galt. Seine Ideen haben bis heute Relevanz, da sie insbesondere auf der Individualität des Menschen beruhen, und dazu ermutigen, frei von gesellschaftlichen Zwängen zu leben.
„To live is the rarest thing in the world. Most people exist, that is all.“