Am 13. September 2022 besuchte auf Einladung des Landkreises Peine der Holocaustüberlebende Ivar Buterfas-Frankental mit seiner Ehefrau Dagmar das Schulzentrum, um den Schülern und Schülerinnen von seinem Leben während und nach dem dem Nationalsozialismus zu erzählen.
Obwohl die Aula mit rund 400 Schülern und Schülerinnen der veschiedenen Schulformen besucht war, herrschte absolute Stille. Zusätzlich waren weitere 1000 Schüler/Schülerinnen per Livestream anderer Schulen des Landkreises zugeschaltet.
Der Zeitzeuge erklärte zu Beginn seines Vortrags, dass er nicht zu Besuch sei, um Schuld zuzuweisen, sondern um den Jugendlichen der Gegenwart die Vergangenheit näherzubringen. Auch heute sind Themen, wie Akzeptanz, Menschenrechte und Sexualität noch immer keine Selbstverständlichkeit. Herr Buterfas-Frankental wurde im Jahr 1933 in Hamburg als Sohn einer christlichen Mutter und eines jüdischen Vaters geboren, somit war er ein zur damaligen Zeit genannter “Halbjude”. Er wurde im Jahr 1928 eingeschult, allerdings musste er die Schule aufgrund seiner Religion bereits nach sechs Wochen wieder verlassen. In der Grundschule erlebte er die Zeit allerdings mit Hakenkreuz auf dem Schulhof, dem Hitlergruß, militärähnlicher Aufstellung und strikter Kleidung – all das war Vorgabe des faschistischen Regimes. Auch Anfeindungen anderer waren keine Ausnahme. So bekam Herr Buterfas-Frankental beispielsweise eines Tages eine Zigarette in den Oberschenkel gedrückt.
Auch seine Familie wurde angefeindet. Er berichtete, dass sein jüdischer Vater zweimal aus einem Lager befreit werden konnte. Allerdings schrie er nachts und verbrachte die Zeit bis zum Ende des Krieges in einem Stammlager. Laut Aussage von Herrn Buterfas-Frankental fand dessen Vater selbst in der Nachkriegszeit nicht mehr in sein altes Familienleben zurück und Ivars Eltern ließen sich scheiden. Auch seine Geschwister, wie sein Bruder Rolf, der in Folge eines Metallsplitters im Jahr 1967 starb, erlebten den Nationalsozialismus. Im Jahr 1936 mussten sie ihr damaliges Eigenheim verlassen und in ein altes Haus ziehen, was er als schreckliche Lebensumstände beschrieb. Zwei Jahre mussten sie dort leben und ihnen wurden jegliche Rechte entzogen. Laut der Nürnberger Gesetze vom September 1935, eine juristische Legitimationsgrundlage für die Diskriminierung und Verfolgung der jüdischen Bevölkerung im Nationalsozialismus, durften sie nach 18 Uhr nicht mehr auf die Straße gehen, keine öffentlichen Gebäude aufsuchen, keine Haustiere mehr halten und wurden gezwungen den so genannten Judenstern zu tragen. Es war erlaubt sie zu erschießen, wenn sie diesen nicht trugen.
Später wurden allen Juden so genannte “Koffernamen” zugewiesen: Die männlichen Juden bekamen den Namen “Israel” und die weiblichen Jüdinnen bekamen den Namen “Sarah”. Im Jahr 1942 verlor die Familie, außer der Mutter, die deutsche Staatsbürgerschaft und die Deportation drohte. Der sogenannte Fremdenpass, welcher Herr Buterfas als Kopie nach der Veranstaltung verteilte, brachte die Staatenlosigkeit aufs Papier. Sechzehn Jahre nach dem Kriegsende wurde er auch schriftlich wieder eingebürgert, denn in entsprechendem Dokument stand bzw. steht, er „…habe die deutsche Staatsbürgerschaft erworben.“ Er selnst bezeichnete dies während seines Vortrags als „eines der entwürdigensten Dinge, die ich je erlebt habe; es klingt, als wäre ich dort hingegangen und hätte das Dokument gekauft.“ Im Alter von 15 Jahren beschloss Ivar, die Familie mit über Wasser zu halten und nahm die unmöglichsten und schwierigsten Jobs an, so reinigte er u.a. die Süßwassertanks auf einem großen Tanker – beschwerlich und lebensgefährlich.
Heutzutage ist der Träger des Bundesverdienstkreutes erster Klasse (2020) u.a. als Autor tätig und seit fast 30 Jahren als Zeitzeuge an Schulen und Universitäten unterwegs. In weit über 1500 Veranstaltungen gab und gibt er das während seines Lebens Erlebte an die Jugend weiter. Darüber hinaus setzte sich für eine Gedenkstätte des Gefangenen- und Straflager Sandbostel in der Nähe von Bremervörde ein. Das Lager wurde 1939 von den Nazis errichtet und entwickelte sich zu einer Massenvernichtungsstätte. Nahezu 40.000 Menschen aus 80 Nationen wurden dort gequält und umgebracht. Bei der Befreiung im April 1945 lagen die Toten auf der Wiese und in den Baracken. Die aktive Hilfe für den Gedenkstättenverein trug er mit handfesten Morddrohungen gegen sich und seine Ehefrau.
Er berichtete zum Abschluss, dass sein Haus in Hamburg einer Festung gleiche, mit Panzerglas, Scheinwerfern und Kameras. Auch mental hat das Erlebte Spuren hinterlassen. Es ist selten, dass er Nächte durchschlafen könne. Er wird also noch heute von Albträumen verfolgt. In seinem neusten Buch „Von ganz ganz unten“, das im Oktober 2022 erscheint, thematisiert er 40 antisemitistische Aktionen gegenüber seiner Familie.
Für alle Beteiligten war das ein eindrucksvoller und denkwürdiger Besuch. Wir danken Herrn Buterfas und seiner Frau für ihr Kommen und hoffen, dass noch viele weitere Schulen die Möglichkeit bekommen werden, Herrn Buterfas als Gast begrüßen zu dürfen!
Tabea Pape