Turnlegende Eberhard Gienger im Gespräch mit der Schülerzeitung
Das schönste Erlebnis der Schulzeit von Eberhard Gienger – im Dezember 1964 eine fast gute Lateinarbeit. Latein war aber nie eines seiner Lieblingsfächer, gab der ehemalige Leistungssportler zu. Im Gegensatz dazu, konnte er vor allem im Sportunterricht glänzen. Besonders beeindruckend für uns war, dass er schon über zehn Sportarten ausprobiert und teilweise lange ausgeübt hat. Doch berühmt gemacht hatte ihn das Turnen.
Der Sport-Leistungskurs des Georgianums bewarb sich mit einem Video von einer Turnstunde bei Eberhard Gienger, um ihn zu einem Besuch im Sportunterricht zu begeistern. Infolgedessen kam das ehemalige Turnerass am 11. März 2015 für zwei Stunden zum Georgianum und gab den Schülerinnen und Schülern der Oberstufe Hilfestellung und Tipps bei schwierigen Turnübungen, bevor er dann als Ehrengast am Nachmittag im Bonifatius-Hospital die neuen Räume der Kinderklink einweihte. Nach der interessanten Turnstunde, in der der CDU-Politiker und Abgeordnete des Deutschen Bundestages sein großes Können am Reck bewiesen hatte, interviewten Redakteure der Schülerzeitung GG[e:]bloggt den begeisterten Fallschirmspringer zu seiner Schulzeit und seiner erfolgreichen Karriere als Leistungsturner.
Was waren Ihre Lieblingsfächer?
Ich habe Englisch sehr gerne gemacht, und ich hab Mathe gerne gemacht und Sport natürlich. Je nachdem, wer so als Lehrer da war. Es gab manche, die waren großartig, die konnten Biologie vermitteln, dass ich Freude daran hatte. Und dann kam ein anderer, da hatte ich keine Freude mehr, und so ging es durch fast alle Fächer. Aber wem sage ich das. Ihr erlebt das täglich auch.
Wie haben Sie das Turnen für sich entdeckt? War das im Schulsport?
Nee. Das war ganz komisch. Als ich zum ersten Mal mit meinen Klassenkameraden ins Turnen mitgegangen bin, lief in der gleichen Zeit – das war Anfang der 60er Jahre – in den Kinos diese Spartacus-, Romulus- und Remus- und die Gladiatoren-Filme. Und im Turnverein hatten wir auch jemanden, der hatte sehr muskulöse Arme. Das hat mir schwer imponiert. Dann habe ich eben auch angefangen zu turnen. Und dann kam zwei Jahre später ein Mann in mein Leben, der hatte eigene Geräte im Garten. Der war 60 Jahr älter als ich. Und er hat mich unter seine Fittiche genommen. Wir haben angefangen, täglich zu trainieren. Wie gesagt – ich war 13, der war 73. Und der hat mich bis zu den Deutschen Jugendmeisterschaften geführt.
Spielten schon mal andere Sportarten für Sie eine Rolle?
Ja, ich hab alles gemacht. Ich wollte mit der Nummer 9 auf dem Rücken wie Uwe Seeler Tore schießen. Fußball ist meine Leidenschaft und spiele ich heute noch. Ich habe alle Sportarten gemacht, die man so hat treiben können: Tischtennis, Tennis, Handball, Leichtathletik, Schwimmen. Es gab eigentlich nichts, was ich nicht gemacht hab. Ein bisschen Mühe hatte ich beim Windsurfing. Und Tauchen und Schanzenspringen hab ich gemacht, Motorcross und – was ich heute noch mache – Fallschirmspringen. Ich habe jetzt fast 5000 Absprünge.
Inwieweit hat das Leistungsturnen während der Schulzeit oder des Studiums Einfluss auf Ihre Freizeitgestaltung genommen?
Als ich mit dem Leistungssport angefangen hab, habe ich die anderen Sportarten weitestgehend zurückgefahren und so nur noch Fußball gelegentlich gespielt, wie auch andere Sportarten. Ich habe damals schon als Jugendlicher jeden Tag 1-1,5 Stunden trainiert. Fünfmal in der Woche schon, manchmal auch sechsmal in der Woche. Dann kamen am Wochenende ab und zu noch Wettkämpfe dazu. Das habe ich schon ernst genommen. 1968 – da war ich schon 17 – bin ich ins Leistungszentrum nach Frankfurt umgezogen, ab da ging´s richtig los. Mit 17 Jahren hab ich mindestens sechsmal drei Stunden pro Woche trainiert.
Was war Ihr größter sportlicher Erfolg?
Für die Öffentlichkeit wahrscheinlich die Weltmeisterschaft oder die Bronze-Medaille bei den Olympischen Spielen, für mich selber der vierte Platz im Zwölfkampf bei den Weltmeisterschaften. Aber das ist halt nicht mit Metall versehen, deswegen ist das nur für Insider. Für mich ist die Krönung beim Turnen einfach der Mehrkampf.
Wie sind Sie mit längeren Verletzungen oder Rückschlägen fertig geworden?
Ich ging dann immer sehr schnell zum Arzt und wurde behandelt. Ich hatte Gottseidank auch eine gutes Heilfleisch und einen guten Arzt, der das recht schnell immer in Griff bekommen. Oder ich habe mich so früh vor großen Meisterschaften verletzt, dass ich noch die entsprechende Zeit hatte, mich darauf vorzubereiten. Denn das Problem ist nicht die Verletzung selber, die ist meistens relativ schnell behoben, sondern das Rausgehen aus dem Training. Und wenn man nicht trainieren kann, dann stellt sich ein gewisses Maß an Unsicherheit ein. Wenn man in den Wettkampf geht, muss man ein besonders starkes Maß an Sicherheit mitnehmen. Von sich selbst überzeugt sein, das kann bis zur Arroganz gehen. Man muss sagen: „Ich bin der Beste, der Stärkste, der Schönste. Und mich kann keiner. Ich bin gut drauf, hab gut trainiert. Mit einem Selbstbewusstsein, das an Arroganz grenzt. Man darf alles denken. Kein Problem. Man darf nur nicht alles sagen.
Und Sie sind ja jetzt noch sehr fit. Wie ist es dazu gekommen, dass Sie mit dem Leistungssport aufgehört haben?
Wenn man ins zarte Alter von 30 und drüber kommt, dann gibt es junge Leute, die wesentlich mehr Power und die einem das Nachsehen geben; und dann hat´s hier gezwickt und da gezwickt, und wenn ich mir so vorstelle, dass ich noch einen Kreuzhang [= Turnübung an den Ringen] hätte halten müssen. Ich musste immer unheimlich viel Krafttraining machen, um meine Kraftelemente überhaupt zu schaffen. Und wenn das so ist, dass man viel trainieren muss, dann geht das irgendwann mal auf die Knochen. Und dann hier mal ein Muskelriss und da mal wieder eine Kapsel gesprengt. Zum Schluss hat es keine richtige Freude mehr gemacht. Deshalb habe ich mit dem internationalen Wettkampfsport aufgehört, turne nur noch national und baue langsam ab, trainiere statt sechsmal pro Woche drei, vier Stunden nur noch fünfmal die Woche zwei Stunden, dann viermal in der Woche anderthalb Stunden – und zum Schluss war es nur noch Friede, Freude, Eierkuchen. Ich habe insgesamt zwanzig Jahre Bundesliga geturnt. Irgendwann muss man aufhören. Nun mache ich nur noch Schauveranstaltungen und das mache ich heute noch. Damit ich ab und zu genötigt bin, in die Halle zu gehen. Elemente, die ich gerne mache sind Doppelsalto und Schraubensalto von der Reckstange.
Das Interview führten:
Sophie Kösters und Franca Singh von GG[e:]bloggt.