„Nie wieder ist jetzt!“ – Bewegendes Gedenken an die Opfer der Reichspogromnacht in Haren

Am Abend des 9. Novembers 2024 fand in Haren am Ort der ehemaligen Synagoge eine bewegende Gedenkfeier anlässlich der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 statt. Die Gedenkfeier erinnerte an die Verbrechen der Nationalsozialisten, die in jener Nacht ihren brutalen Höhepunkt in der massiven Zerstörung jüdischer Geschäfte, Wohnungen, Friedhöfe und Synagogen fanden, und beleuchtete die verheerenden Folgen für die jüdische Bevölkerung in unserer Region. Rund 7500 jüdische Geschäfte wurden geplündert. Viele Synagogen wurden in Brand gesetzt, oft unter Duldung oder Mithilfe der Feuerwehren, die lediglich benachbarte Gebäude schützen sollten. Ungefähr 30.000 jüdische Menschen in ganz Deutschland wurden verhaftet und in Konzentrationslager deportiert. Dies betraf auch die 22 Juden und Jüdinnen aus Haren, die den Holocaust nicht überlebten. Die Novemberpogromen führten in Nazi-in Deutschland zu einer noch drastischeren gesellschaftlichen Ausgrenzung und Isolierung der jüdischen Bevölkerung, eine restriktive Einwanderungspolitik vieler Länder erschwerte die Emigration der Juden, die aus Deutschland zu fliehen versuchten. Jüdische Unternehmen und Vermögenswerte wurden systematisch von Deutschen im Zuge der „Arisierung“ übernommen. Damit signalisierten die Novemberpogrome den Übergang zu einer Politik der physischen Vernichtung der europäischen Juden.

Die Gedenkfeier wurde inhaltlich von den Schülerinnen und Schülern des Jahrgangs 10 unserer Schule gemeinsam mit ihren Lehrern Malte Schniers und Katrin Kleesiek-Herding vorbereitet. Im Vorfeld hatten sie sich im Unterricht intensiv mit der Geschichte der jüdischen Gemeinde in Haren, den Auswirkungen des Holocausts und den Folgen einer sich wandelnden Erinnerungskultur auseinandergesetzt. In der Woche vor der Gedenkfeier suchten Schüler und Schülerinnen des Jahrgangs 9 die in Haren verlegten Stolpersteine auf, die vor den ehemaligen Wohnhäusern jüdischer Familien zu finden sind, und reinigten diese vom Straßenschmutz. Diese kleinen Mahnmale im Straßenpflaster erinnern daran, dass die Opfer einst Nachbarn, Freunde und Mitbürgerinnen und Mitbürger waren.

Die sichtbar gewordenen Namen fordern damit zur Auseinandersetzung und zum Erinnern an diese Menschen auf, die früher ein fester Teil der Harener Bevölkerung waren.

Ein besonderer Höhepunkt bei der Vorbereitung der Gedenkfeier in der St- Johannis-Kirche in Haren war die Begegnung mit dem 99jährigen Albrecht Weinberg, einem Holocaust-Überlebenden aus Leer, der die Jugendlichen mit einem ergreifenden Bericht über seine Leidenszeit prägte. Am Gedenkort Jüdische Schule in Leer schilderte Albrecht Weinberg eindringlich, wie er die Gräueltaten der Nationalsozialisten erlebt hatte – von der Entrechtung und Verfolgung seiner Familie bis hin zur Deportation in das KZ Auschwitz. Seine Worte hinterließen einen tiefen Eindruck, denn sie verdeutlichten insbesondere die Bedeutung des Erinnerns und der Verantwortung von uns allen für die Gegenwart und Zukunft. Die letzten Zeitzeugen wie Albrecht Weinberg oder auch Margot Friedländer mahnen zu Wachsamkeit und Widerstand gegen Antisemitismus und jegliche Form von Diskriminierung. insbesondere der aggressive und gewaltbereite Antisemitismus und Hass auf Israel, der seit dem 7. Oktober 2023 in ganz Deutschland sichtbarer und lauter geworden ist, unterstützt diesen Appell.

Nach der Begrüßung durch Pastor Frank Weyen richtete Schulleiterin Dunja Gerdes in ihrem Vortrag besondere Worte an die Anwesenden, die sich zahlreich in der Johanniskirche eingefunden hatten. Sie hob insbesondere die Bedeutung des Gedenkens für die Gegenwart und Zukunft in ihrem Appell „Nie wieder ist jetzt!“ hervor und mahnte eindringlich dazu, alle Formen von Antisemitismus und Diskriminierung zu verurteilen: „Wer vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart.“ Die Begegnung mit einem Zeitzeugen wie Albrecht Weinberg sei ein unschätzbares Geschenk, so Dunja Gerdes. Auch wenn die Zeitzeugen eines Tages nicht mehr da sind, bleibe es unsere Aufgabe, ihre Geschichten weiterzuerzählen und sich gegen Hass und Antisemitismus zu stellen. Sie betonte damit die Erinnerungskultur als Fundament für Menschlichkeit. Diese solle dazu mahnen, das Bewusstsein und die eigene Verantwortung für den Erhalt der Demokratie, der Freiheit des Rechts und der moralischen Pflicht eines jeden Einzelnen gegen Antisemitismus, Hass und Ausgrenzung zu festigen

Mit dem Verlesen der Namen der im Nationalsozialismus entrechteten, vertriebenen und ermordeten Juden und Jüdinnen aus Haren entzündeten unsere Schüler und Schülerinnen in ihrem Gedenken Lichter, die im Anschluss der Gedenkfeier das Mahnmal vor der Kirche erhellten.

Ein weiterer Schwerpunkt der Veranstaltung war ein Impuls-Vortrag zur Bedeutung der Erinnerungskultur in der Zukunft, in der die letzten Zeitzeugen nicht mehr unter uns sein werden. Die Rede betonte, wie entscheidend es ist, die Geschichten und Lehren der Vergangenheit weiterzugeben – durch Bildung, Begegnung und bewusste Auseinandersetzung mit der Geschichte. Eindrucksvolle Zitate von Holocaust-Überlebenden und bekannter Nachfahren jener appellierten dabei an die Verantwortung als Zivilgesellschaft.

Unterstützt durch die musikalische Begleitung des Unterstufenchores Young Voices unter der Leitung der Musiklehrerin Jana Imming wurde eine würdevolle Atmosphäre des Nachdenkens, Innehaltens und würdevollen Gedenkens geschaffen.

Unsere Schule dankt allen Beteiligten, die diese Gedenkfeier mitgestaltet haben, und lädt dazu ein, sich auch zukünftig für ein friedliches Miteinander einzusetzen.

K. Kleesiek-Herding/M. Schniers