Fünf Orte – Fünf Geschichten – Fünf Menschen: Ein Kriegsflüchtling berichtet

Manfred Tietz ist 81 Jahre alt und wohnt in Diepholz. Er ist während des Zweiten Weltkriegs (1939-1945) mit nur vier Jahren aus Ostpreußen geflüchtet. Im Interview erzählt er uns von seiner schwierigen Flucht. 

Herr Tietz, wieso sind Sie damals geflüchtet?

Ostpreußen war die ehemalige Heimat von Manfred Tietz. Heute gehört dieser Teil zu Litauen und Polen.

Die Russen hatten bereits den Landkreis Tilsit in Ostpreußen bombardiert und zerstört. Meine Oma hat dadurch ihr ganzes Hab und Gut verloren und ist mit dem Handgepäck, das sie mit in den Schutzbunker nehmen durfte, zu uns, also ihrer Tochter, meiner Schwester und mir, geflüchtet. Ich kann mich erinnern, dass die Straßenfront in der Kreisstadt Tilsit nur noch Schutt und Asche war. Währenddessen wurde bereits Königsberg bombardiert. Die Bomber der Roten Armee kamen über die Ostsee direkt über unseren Ort geflogen und bombardierten Königsberg Tag und Nacht. Daraufhin sind wir geflüchtet.

Mit wem genau sind Sie damals geflüchtet?

Ich bin mit meiner Oma, meiner Mutter und meiner Schwester Rosmarie geflüchtet.

Wann sind Sie damals geflüchtet?

Am 23.01.1945 sind wir aufgebrochen. Es war Winter und überall lag Schnee. Wir hatten einen Schlitten mit dem ganzen Gepäck gepackt. Auf diesen wurde ich oben drauf gesetzt und durch den tiefen Schnee gezogen. Für mich als kleinen Jungen waren es riesengroße Schneehügel. 

Gibt es Bilder von Ihrer Flucht?

Nein, uns wurde alles weggenommen.

Wie genau sind Sie geflüchtet? Wie sah Ihre Fluchtroute aus?

Das Flüchtlingsschiff Gotland.

Wir sind von Groß-Kuhren in Ostpreußen mit dem bepackten Schlitten zu Fuß durch den tiefen Schnee zum Bahnhof. Von dort sind wir mit der Bahn nach Pillau gefahren. Dort wurden wir auf die “Gotland”, das letzte Flüchtlingsschiff, gebracht. Die “Gustlow”, ein Marine-Ausbildungsschiff für Sanitäter, hatte auch Flüchtlinge an Bord. Dieses Begleitschiff wartete bereits auf offener See auf uns. In der darauffolgenden Nacht wurde die Gustlow von einem russischen U-Boot mit Torpedos beschossen und versenkt. Es gab kaum Überlebende. Wir kamen mit unserem Schiff in Warnemünde an. Mit dem Zug ging es weiter nach Malchin und dann Richtung Waren/Müritz. Dort ging es schließlich auf einen Gutshof mit Stallungen und Nebengebäude.

Was war das schlimmste Ereignis auf Ihrer Flucht?

Wir haben von der “Gotland” mit ansehen können, wie das Schiff “Gustlow”, mit meinem Onkel und meiner Tante darauf, untergegangen ist. Auch als russische Soldaten unsere Schutz-Unterstände beschossen haben. Wir wurden zusammengetrieben und geplündert. Außerdem mussten wir alle mit ansehen, wie hauptsächlich junge Frauen gequält wurden.

Und was war das schlimmste, was Sie zurücklassen mussten?

Mein damaliges Zuhause, meinen Vater. Und meine Kuscheltiere.

Haben Sie jemals überlegt zurück nach Ostpreußen zu ziehen?

Nein! Wir waren im Jahr 1992 einmal zu Besuch dort. Doch als wir ankamen, war alles kaputt und es gab kein Haus, keinen Hof mehr. Alles war platt und voll mit Wildwuchs.

Wie war der Beginn in der neuen Heimat?

Wir waren nicht willkommen, aber wir wurden von vielen für Hilfstätigkeiten ausgenutzt.

Vielen Dank für das interessante Interview.

 

Interview von Ben T., 8. Jahrgang, WPK Journalismus

Das könnte dich auch interessieren …

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.