Der Mensch als Hauptmotiv – Kurzgeschichten nach den Gemälden von Edward Hopper
Dass jedes Bild eine Geschichte erzählt, gilt vor allem für die Gemälde des amerikanischen Malers Edward Hopper (1882-1967). Seine Darstellungen lassen der Fantasie großen Spielraum und bieten auch Jugendlichen vielseitige Anknüpfungsmöglichkeiten: Von Hoppers Bildern inspiriert, haben 26 Schülerinnen und Schüler des 9. Jahrgangs der KGS Neustadt dort angesetzt, wo das Gemälde gezwungenermaßen aufhört. Ihre Kurzgeschichten erzählen weiter, was in der Momentaufnahme Hoppers zu spüren ist: Liebe, Eifersucht, Verzweiflung, Trauer, Angst, Wut. Enstanden sind so – im Rahmen des Deutschunterrichtes – vielfältige Geschichten über das Menschsein. Die besten drei Kurzgeschichten wurden im vergangenen Monat von den Schülerinnen und Schülern der Klasse 9G3 ausgewählt und sollen euch hier präsentiert werden.
Der letzte Tag (2019)
Sie kam nach Hause wie immer, fünf Tage die Woche, die letzten zwanzig Jahre. Doch diesmal ist etwas anders, denn ein großer weißer Briefumschlag liegt im Briefkasten mit der fettgedruckten Aufschrift ,,Fristlose Kündigung“. Eine unerwartete Tatsache für sie. Trotz der Wirtschaftskrise hielt sie immer treu zu ihrer Arbeit und führte ihre Arbeit pflichtbewusst aus.
Verzweiflung zeichnet ihr Gesicht. Sie setzt sich auf ihr Bett. Sie sieht aus dem Fenster. Ein schweifender Blick auf die vertraute Umgebung. Das, was einmal war, wird bald nicht mehr sein. Eine Sackgasse ohne Ausweg. Es scheint aussichtslos. Selbst der helle Schein des Himmels trügt. Nach außen hin stets froh und munter, doch plötzlich kommt die Kehrtwende und dunkle Wolken bedecken den Himmel. Ein Gewitter zieht auf. Wohin nun? Was nun? Die Fragen und Ungewissheit überwiegen Antworten und Klarheit. Eine Träne rollt und es werden langsam mehrere. Abschied steht nun an. Hätte sie nur auf Otto gehört. Otto sagt immer: „In unsicheren Zeiten muss man auf alles gefasst sein.“ Das hilft nun nicht mehr! Doch der Vergangenheit nachzutrauern ebnet nicht die Pfade der Zukunft.
Draußen wird es hell. Sie schaut aus dem Fenster. Ein Blitz schlägt. Einmal, zweimal, das Grollen ertönt.
Feuer entfacht.
Die Flammen umschlingen die Fabrik. Der Rauch zieht auf. Schockiert blickt sie auf die traute Arbeitsstelle. So viel Schweiß und harte Arbeit, was sie mit diesem Ort verbindet, geht nun in Flammen auf.
Sie eilt zum Telefon. Mit der Feuerwehr am Hörer bleibt die Hoffnung erhalten. Sirenen ertönen. Die Stille ist gebrochen. Das Gebäude, noch rettbar, wird von den Flammen befreit. Die Verwüstung hat ein Ende. Ihr schnelles Eingreifen verhinderte Schlimmeres, doch von der Fabrik ist nicht mehr viel übrig. Auch gute Taten in schlechten Zeiten bewirken nichts außer Anerkennung. Die Wohnungsräumung beginnt.
Verfasst von: Paul M., Hendrik M., Niklas S., Ronja G., Lilly S., Linus R.
Nichts ist so wie es scheint (2019)
Sie geht aus der Haustür. Sie ist eine hübsche junge Frau, ohne Haare sieht sie jedoch anders aus. Schon von Weitem bemerkt sie, wie sie angestarrt wird. Auf dem Weg zum Café geht sie über die Straße. Ein Mann ruft ihr zu: „Ekelhaft so ganz ohne Haare.“ Sie guckt ihn nicht an und eilt weiter. Sie geht über den Marktplatz. Die Menschen werfen ihr abwertende Blicke zu. Sie senkt ihren Kopf. Schnell weiter.
Obwohl sie weiß, warum sie das getan hat, leidet sie trotzdem unter den Reaktionen der Menschen. Um dem zu entgehen, kauft sie sich auf dem Weg eine Mütze. Eine Blaue mit roten Punkten. Sie fühlt sich sicherer. Sie eilt schnell weiter zum Café.
Schon von Weitem erkennt sie ihre Freundin. Seit ein paar Monaten sieht sie krank aus. Sie hat Angst, was passieren wird. Sie betritt das Café und setzt sich zu ihr. Sie gucken sich lange an. Beide haben Tränen in den Augen. Die Leute im Raum schauen die beiden mitleidig an. Sie nimmt ihre Mütze ab. Die Freundin ebenfalls. Sie umarmen sich. Freudentränen fließen über ihr Gesicht. So glücklich waren beide seit Monaten nicht mehr.
Verfasst von: Filippa W., Antonia G., Lion Z., Dennis H., Lena T.
Treppenmelodie (2019)
Die Oper fing an. Ich war zu spät. Ich eilte zu den Treppen, die mich zum Saal führen sollten. Die Melodie ertönt. Die gleiche Melodie wie damals. Es war Samstag. Wir schritten zum Altar, die Melodie ertönte. Ich schaute ihm in die Augen, ich war glücklich.
Ich trete eine Stufe hinab, die Melodie wird schneller. Wir liebten uns, damals. Ich höre ein Raunen im Saal und ein ,,Natürlich liebe ich dich!” im Geiste.
Ich trete eine Stufe hinab, die Melodie wird lauter. Die Neue heißt Vanessa, er verbringt mehr Zeit mit ihr.
Mit einem Gefühl von Einsamkeit trete ich die nächste Stufe hinab. Stets meint er, es wäre nichts Ernstes, sie ist nur eine gute Freundin.
Ich trete eine Stufe hinab. Die Melodie wird langsamer. Die täglichen Spaziergänge blieben aus, er kam spät nach Hause.
Ich trete die nächste Stufe hinab. Die Melodie wird langsam leiser. Er wird bald zu ihr ziehen. Eine Träne fließt meine Wange hinab.
Ich schwanke zur nächsten Stufe hinab. Die Melodie pausiert und ist meilenweit entfernt. Ich zerbreche täglich an der Einsamkeit, es ist unerträglich.
Unsicher stolpere ich die nächste Stufe hinab. Ich greife in meine Jackentasche und fühle das spitze Metall. Die Melodie verstummt ganz. Ich halte es nicht mehr aus.
Ich falle die letzte Stufe hinab und stürze ins Graue.
Verfasst von: Jana R., Johanna R., Jannik K., Silas M.
Quellen:
- Titelbild: https://live.staticflickr.com/3137/2551809640_93c0918460_b.jpg
- Bild 1: https://www.flickr.com/photos/clairity/14278537925
- Bild 2: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/c/c8/Edward_hopper_chop_suey.jpg
- Bild 3: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/2/25/Newyork-movie-edward-hopper-1939.jpg
- Text: Nighthawks. Stories nach Gemälden von Edward Hopper. Hrsg. von Laurence Block. München 2017.