Leseselbstkonzept, Lesemotivation und Leseverhalten von Viertklässlerinnen und Viertklässlern in Deutschland

Im Folgenden stellen wir Ihnen ausgewählte Ergebnisse zum Leseselbstkonzept, zur Lesemotivation und zum Leseverhalten von Viertklässlerinnen und Viertklässlern in Deutschland – teilweise im internationalen Vergleich – vor. Die Ergebnisse entstammen dem Bericht über die Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung (IGLU) 2021. Ein positives Leseselbstkonzept, eine hohe Lesemotivation sowie ein sicheres und ausgeprägtes Leseverhalten außerhalb des Schulkontextes stellen wichtige Einflussfaktoren für einen erfolgreichen Lesekompetenzerwerb dar. Ein Blick auf die Ergebnisse lohnt sich daher auch insbesondere in Bezug auf die Förderung basaler sprachlicher Kompetenzen.

Leseselbstkonzept

Im Rahmen von IGLU 2021 wurde das Leseselbstkonzept der Schülerinnen und Schüler mit den folgenden fünf Aussagen erfasst:

  • Normalerweise bin ich gut im Lesen.
  • Lesen fällt mir sehr leicht.
  • Es fällt mir schwer, Geschichten mit schwierigen Wörtern zu lesen. (-)
  • Lesen fällt mir schwerer als vielen meiner Mitschülerinnen und Mitschüler. (-)
  • Lesen fällt mir schwerer als alle anderen Fächer. (-)

Auf einer vierstufigen Skala gaben die Viertklässlerinnen und Viertklässler an, ob sie den Aussagen stark zustimmen (4), einigermaßen zustimmen (3), wenig zustimmen (2) oder überhaupt nicht zustimmen (1). Negativ formulierte Aussagen (-) wurden für die Auswertung umgepolt. Anschließend wurde über die fünf Items pro Kind der Mittelwert (M) berechnet.

Die Auswertung zeigt, dass Viertklässlerinnen und Viertklässler 2021 in Deutschland im Mittel über ein positives Leseselbstkonzept verfügen. Das Ergebnis fällt jedoch im Vergleich zu 2011 signifikant niedriger aus (2021: M = 3,29, 2011: M = 3,34). Prozentual macht der Anteil der Kinder mit einem hohen Leseselbstkonzept 2021 mit 72,7 % fast drei Viertel der Stichprobe aus. Ein mittleres Leseselbstkonzept haben ein Viertel (25,2 %) der Schülerinnen und Schüler; ein niedriges Selbstkonzept besitzen lediglich 2,1 %.

Abbildung 1: Mittleres Leseselbstkonzept von Schülerinnen und Schülern sowie prozentuale Verteilung nach niedrigem, mittlerem und hohem Leseselbstkonzept in Deutschland – IGLU 2011, 2016 und 2021 im Vergleich (Quelle: McElvany et al. 2023, S. 137)

Lesemotivation

Die Erfassung der Lesemotivation erfolgte ebenfalls über Aussagen, welche auf einer vierstufigen Skala von den Schülerinnen und Schülern bewertet wurden:

  • Ich würde mich freuen, wenn mir jemand ein Buch schenkt.
  • Ich finde Lesen langweilig. (-)
  • Ich lese gerne.

Das negativ formulierte Item wurde vor der Berechnung des Mittelwertes umgepolt. Mithilfe der Skala wurden anschließend Kategorien von Kindern mit niedriger (M von 1 bis < 2), mittlerer (M von 2 bis < 3) und hoher (M von 3 bis 4) Lesemotivation gebildet.

Frühere IGLU-Erhebungen für Deutschland konnten bereits belegen, dass ein Zusammenhang zwischen der Lesemotivation und der erreichten Lesekompetenz für Schülerinnen und Schüler besteht. Im 20-Jahre-Trend lässt sich eine Verschlechterung der Lesemotivation feststellen. Der Skalenmittelwert fällt 2021 signifikant niedriger aus als in den Jahren 2001, 2006 und 2011. Prozentual ist der Anteil der Viertklässlerinnen und Viertklässler mit einer hohen Lesemotivation von 76 % im Jahr 2001 auf 69,9 % im Jahr 2021 gesunken, während der Anteil der Kinder mit einer geringen Lesemotivation von 6,5 % auf 7,8 % gestiegen ist.

Abbildung 2: Lesemotivation von Schülerinnen und Schülern sowie prozentuale Verteilung nach niedriger, mittlerer und hoher Lesemotivation in Deutschland im 20-Jahre-Trend (Quelle: McElvany et al. 2023, S. 138)

Leseverhalten

Im internationalen Vergleich gehört Deutschland zur Spitzengruppe, wenn es um das Lesen im außerschulischen Kontext geht. Der Anteil der Grundschülerinnen und Grundschüler, die angeben, pro Schultag außerhalb der Schule mehr als zwei Stunden zu lesen, beträgt in Deutschland 15,1 % – das ist ein im internationalen Vergleich vergleichsweise hoher Wert. 10,7 % der Viertklässlerinnen und Viertklässler lesen mehr als eine bis zwei Stunden, 37,3 % zwischen 30 Minuten und einer Stunde, 36,9 % weniger als 30 Minuten, 10,5 % lesen nur ein- oder zweimal pro Monat außerhalb der Schule und 11,2 % lesen nie oder fast nie zum Vergnügen. Im Vergleich zu 2001 hat sich der Anteil der Viertklässlerinnen und Viertklässler in Deutschland, die nie oder fast nie zum Vergnügen lesen, verringert.

Geschlechterunterschiede

Sowohl bei der Lesemotivation als auch im Leseselbstkonzept und Leseverhalten bestehen systematische Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen zugunsten der Mädchen. Mädchen erreichen im Vergleich zu Jungen in allen Bereichen signifikant höhere Mittelwerte, wobei die Unterschiede in der Lesemotivation (Mädchen: M = 3,29, Jungen: M = 3,04) deutlicher ausgeprägt sind als im Leseselbstkonzept (Mädchen: M = 3,34, Jungen: M = 3,24).

Abbildung 3: Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen im Leseselbstkonzept und der Lesemotivation (Quelle: McElvany et al. 2023, S. 143)

Des Weiteren liest prozentual ein signifikant größerer Anteil an Mädchen jeden oder fast jeden Tag außerhalb der Schule (Mädchen: 53,3 %, Jungen: 46,1 %), während der Anteil der Mädchen, die nie oder fast nie zum Vergnügen lesen, signifikant geringer ist als bei den Jungen (Mädchen: 8,5 %, Jungen: 13,8 %).

Individuelle lesebezogene Merkmale

Unter Berücksichtigung der dargestellten individuellen lesebezogenen Merkmale der Viertklässlerinnen und Viertklässler (Leseselbstkonzept, Lesemotivation und Leseverhalten) sowie der familiären Lesesozialisation sind die Zusammenhänge zwischen den familiären Strukturmerkmalen (sozioökonomischer Hintergrund und Migrationshintergrund) und der Lesekompetenz der Kinder als weniger bedeutsam zu bewerten. Günstigere Ausprägungen der lesebezogenen persönlichen Merkmale sowie eine höhere Ausprägung der Lesesozialisation können demnach zu einer Reduktion des Zusammenhangs der familiären Strukturmerkmale mit der Lesekompetenz führen.

Quelle

McElvany, N., Kleinkorres, R., Kessels, U. (2023). Kapitel 6. Leseselbstkonzept, Lesemotivation und Leseverhalten im internationalen Vergleich. In N. McElvany, R. Lorenz, A. Frey, F. Goldhammer, A. Schilcher, T. C. Stubbe (Hrsg.), IGLU 2021. Lesekompetenz von Grundschulkindern im internationalen Vergleich und im Trend über 20 Jahre. Münster: Waxmann, S. 131-149.