Mitten im Unterricht kommt ein Fremder in die Klasse. Er stellt sich vor: Jonas ist sein Name. Er ist aufgeregt, wieder hier zu sein. Denn, wie der Mann weiter erzählt, ist er vor einigen Jahren auch hier zur Schule gegangen. Jetzt ist er gekommen, um den Brief zu holen, den er seinerzeit unter die Tischplatte an seinem Platz geklebt hat. Die Auetalschüler sind überrascht über den Besucher. Wie sich erst viel später herausstellt, handelt es sich um den Schauspieler Roman Majewski vom Deutschen Theater Göttingen.
Das Stück „Deine Helden – Meine Träume“ von Karen Köhler wurde als Teil der schulischen Präventionsarbeit, organisiert von unserer Schulsozialarbeiterin Kristin Klügel, in den Klassen 10/1 und 10/2 aufgeführt. Dazu war Schauspieler Majewski gemeinsam mit der Dramaturgin Sonja Bachmann für einen Vormittag nach Kalefeld gekommen.
Und Jonas erzählte den Klassen seine Geschichte. Was damals passiert ist, als er so alt war, wie die Kalefelder Schüler jetzt sind. Frustriert war er von seiner Familie, enttäuscht, allein gelassen und fühlte sich nicht wahrgenommen. Bis er eines Tages zum Boxen gegangen ist. Dort wurde er gefördert und aufgebaut, er wurde endlich beachtet und Teil einer Gruppe. Sogar einen echten Freund hat er dort gefunden: Mo – kurz für Mohammed Ali. Ein Gastarbeiterkind. Aber das ist für niemanden ein Thema, weil Mo hier aufgewachsen ist und sein Vater eine eigene kleine, angesehene Firma hat.
In Mos Familie fühlt sich Jonas wohl, anerkannt und akzeptiert. Mit neuem Selbstbewusstsein traut sich Jonas sogar, Jessica anzusprechen, in die er seit langer Zeit verliebt ist. Sie kommen sich ein bisschen näher, er besucht sie oft und lernt dabei auch ihren älteren, schon erwachsenen Bruder Heiko kennen, der ihm auf Augenhöhe begegnet. Mit Heiko fährt er auf Konzerte und zu Besäufnissen am Lagerfeuer, bei denen auch mal »Heil Hitler!« gerufen wird. Dass Heiko und seine Freunde Mo als Ausländer beschimpfen, hat für Jonas keine Bedeutung. Als Jessica allerdings mit Mo eine Liebesgeschichte beginnt, ist nichts mehr ohne Bedeutung und eine ohnmächtige Verzweiflung lässt Jonas einen schweren, folgenreichen Fehler begehen…
Auffallend still verfolgten die Kalefelder Schülerinnen und Schüler den Darsteller. „Ist er wirklich hier Schüler gewesen?“ fragen sich einige. Auch im Nachgespräch sind die Jugendlichen sehr zurückhaltend. Man merkt, es arbeitet in ihren Köpfen. Ist die „Rechte Szene“ ein Thema in unserem Alltag? Wie schnell ist man Teil von etwas, ohne es eigentlich zu wollen? Viele solcher Fragen hallen nach und begleiten die insgesamt 35 Schülerinnen und Schüler noch einige Tage.
https://www.dt-goettingen.de/stueck/mobile-auffuehrung/
Foto von: Anton Säckl