Lesekompetenz von Viertklässlerinnen und Viertklässlern hinkt ein Drittel Jahr hinterher – Ergebnisse der IFS-Schulpanelstudie 2016-2021
16 von 48 Unterrichtswochen in Präsenz
Im Zeitraum von März 2020 bis Juni 2021 hat der Unterricht an den niedersächsischen Schulen von 48 Wochen lediglich an ca. 16 Wochen in Präsenz stattgefunden. Dieser Umstand stellte eine hohe Herausforderung für die Lehrkräfte, die Erziehungsberechtigten und nicht zuletzt für die Schülerinnen und Schüler dar. Unabhängig von der Belastung bedeutete dieser Umstand eine verringerte Zeit für schulisches Lernen. Zusätzlich fehlten oft die Voraussetzungen für digitales Lernen. Erste Studien zeigen bereits eine negative Veränderung in den Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler.
Lesen als Schlüsselkompetenz für die schulische Biographie
Lesen stellt eine Schlüsselkompetenz für eine erfolgreiche Bildungs- und Erwerbsbiographie dar. Während an der Grundschule das Lesen noch an sich gelernt wird, ändert sich die Bedeutung beim Übergang an die weiterführende Schule. Spätestens ab der fünften Klassenstufe lesen Schülerinnen und Schüler, um in anderen Fächern Inhalte zu erfassen und zu lernen. Besonders wichtig zum Erlernen der Lesekompetenz sind der Leseunterricht an sich, das außerschulische Leseverhalten sowie die familiäre Unterstützung. Alles Punkte, die durch die Pandemie erschwert wurden. Es war somit zu erwarten, dass die Lesekompetenzen aller Schülerinnen und Schüler beeinträchtigt sowie bestehende Unterschiede verstärkt worden sind.
Forschungsanliegen, Fragestellungen und Methodik
Mit der IFS-Schulpanelstudie 2016-2021 sollte untersucht werden, welchen Lesekompetenzstand die Schülerinnen und Schüler in der vierten Klassenstufe nach den COVID-19-bedingten Einschränkungen der Beschulung erreichten. Darüber hinaus sollte untersucht werden, inwiefern sich die Lesekompetenzen der Schülerinnen und Schüler zwischen 2021 und 2016 unterscheiden. Dazu wurden 2016 sowie 2021 an 111 deutschen Grundschulen die Lesekompetenzen von Viertklässlerinnen und Viertklässler aus jeweils einer Klasse getestet. Im gleichen Zug füllten die beteiligten Schülerinnen und Schüler einen Fragebogen aus. Die Ergebnisse sind repräsentativ für Deutschland.
Schülerinnen und Schüler 2021 müssten im Mittel ein Drittel Jahr länger lernen, um genauso lesen zu können wie die Schülerinnen und Schüler 2016
Die mittlere Lesekompetenz am Ende des vierten Jahrgangs im Jahr 2021 ist mit einer Differenz von 20 Punkten wesentlich niedriger als im Jahr 2016. Der Unterschied entspricht in etwa einem halben Lernjahr. Unter Berücksichtigung der veränderten Schülerkomposition beträgt die Differenz zwischen den Jahren 2021 und 2016 14 Punkte. Dieser substantielle Unterschied entspricht in etwa einem Drittel Lernjahr.
Anteilig gibt es 2021, im Vergleich zu 2016, weniger starke und mehr schwache Leserinnen und Leser
Schülerinnen und Schüler, die in Deutschland geboren wurden, haben 2021 einen Leistungsvorsprung von etwa 1,5 Jahren gegenüber Schülerinnen und Schüler, die im Ausland geboren wurden
Die Differenz in der mittleren Lesekompetenz zwischen den Schülerinnen und Schülern mit und ohne Migrationshintergrund ist 2016 sowie 2021 bedeutsam. Für alle drei Migrationshintergründe (Geburtsland des Kindes, Geburtsland beider Eltern, Familiensprache) stellen sich ähnliche Unterschiede dar. Der Unterschied zwischen den Schülerinnen und Schülern, die in Deutschland und in anderen Ländern geboren sind, betrug 2021 63 Punkte. Dies entspricht in etwa 1,5 Lernjahren. 2016 betrug die Differenz noch 46 Punkte. Statistisch signifikant sind diese Unterschiede aber nicht.
Fazit
Die Ergebnisse sind alarmierend, wenn man berücksichtigt, dass Lesen eine zentrale Voraussetzung für eine erfolgreiche Bildungsbiographie und die gesellschaftliche Teilhabe darstellt.
2021 sind die Lesekompetenzen substanziell niedriger als noch vor fünf Jahren. Kinder, die während der COVID-19 Pandemie die Schule besucht haben, müssten somit im Durchschnitt ein halbes Jahr länger zur Schule gehen, um die gleichen Kompetenzen zu erreichen wie Kinder vor der Pandemie. Dabei ist zu bedenken, dass es sich hierbei um Schülerinnen und Schüler handelt, die sich 2021 am Ende der vierten Klassenstufe befanden.
Darüber hinaus sinkt der Anteil der Kinder auf einem hohen Leseniveau, während gleichzeitig der Anteil der Kinder auf einem niedrigen Leseniveau steigt. Bei Gruppen, die bereits vor der COVID-19-Pandemie Unterschiede bezüglich der Lesekompetenzen aufweisen, bestehen weiterhin große Unterschiede. Besonders Kinder mit einem Zuwanderungshintergrund weisen im Mittel einen größeren Unterschied auf als noch 2016.
Laut dem Institut für Schulentwicklungsforschung der TU Dortmund ist eine zielgruppenspezifische Unterstützung der Lesekompetenz in der Grundschule aber auch an den weiterführenden Schulen eine notwendige Maßnahme, um den entstandenen Defiziten entgegenzuwirken. Auch das eigenständiges Lernen in flexiblen und distanzorientierten Lehr-Lern-Situationen, insbesondere unter Einbezug von digitalen Medien, sollte mit Schülerinnen und Schülern verstärkt eingeübt werden.
Quellen
Ludewig, U., Kleinkorres, R., Schaufelberger, R., Schlitter, T., Lorenz, R., König, C., Frey, A., McElvany, N. (2022). Die COVID-19 Pandemie und Lesekompetenz von Viertklässler*innen. Ergebnisse der IFS-Schulpanelstudie 2016-2021. Verfügbar unter: https://ifs.ep.tu-dortmund.de/storages/ifs-ep/r/Downloads_allgemein/COVID19-Pandemie_und_Lesekompetenz__IFS-Schulpanelstudie__pass.pdf
Ludewig, U., Kleinkorres, R., Schaufelberger, R., Schlitter, T., Lorenz, R., König, C., Frey, A., McElvany, N. (2022). COVID-19 Pandemic and Student Reading Achievement – Findings from a School Panel Study. Verfügbar unter: https://doi.org/10.31234/osf.io/hrzae
Links
https://ifs.ep.tu-dortmund.de/forschung/ifs-schulpanelstudie/