ICILS 2023 – Ergebnisse von Deutschland im internationalen Vergleich mit besonderem Blick auf soziale Disparitäten

Im Jahr 2023 testet die internationale Vergleichsstudie ICILS (International Computer and Information Literacy Study) zum dritten Mal in Folge die computer- und informationsbezogenen Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern der 8. Jahrgangsstufe. „Die fortwährenden digitalisierungsbezogenen Transformationsprozesse erfordern einen kompetenten Umgang mit digitalen Medien, um selbstbestimmt, reflektiert und verantwortlich am gesellschaftlichen, politischen und beruflichen Leben teilhaben zu können“ (Eickelmann et al. 2024a, S. 47). In diesem Zusammenhang stellen computer- und informationsbezogene Kompetenzen eine fächerübergreifende Schlüsselkompetenz für alle Schülerinnen und Schüler dar. Es erfordert einen erweiterten Bildungsauftrag für Schulen, diese Kompetenzen gezielt zu fördern und dabei gerade die unterschiedlichen Voraussetzungen und individuellen Hintergrundmerkmale aller Schülerinnen und Schüler zu berücksichtigen. Zu diesen Hintergrundmerkmalen gehören das Geschlecht, der Zuwanderungshintergrund, die Familiensprache und die soziale Herkunft der Schülerinnen und Schüler (vgl. Eickelmann et al. 2024a, S. 73).

Ergebnisse im internationalen Vergleich

Für Deutschland zeigen sich im internationalen Vergleich folgende Ergebnisse: Achtklässlerinnen und Achtklässler erreichen im Mittel 502 Punkte in den computer- und informationsbezogenen Kompetenzen. Der durchschnittliche Kompetenzstand in Deutschland liegt damit zwar signifikant über dem internationalen Mittelwert (476 Punkte) und auch über dem Mittelwert der Vergleichsgruppe EU (493 Punkte), jedoch im Vergleich mit allen Teilnahmeländern im unteren Mittelfeld (siehe Abb. 1). Zur oberen Gruppe in der Rangreihe gehören die Republik Korea (540 Punkte), Tschechien (525 Punkte), Dänemark (518 Punkte) und Taiwan (515 Punkte), deren mittlere Kompetenzwerte signifikant über dem von Deutschland liegen. Die Kompetenzwerte der mittleren Gruppe unterscheiden sich nicht statistisch signifikant von Deutschland. In den Ländern der unteren Gruppe liegen die mittleren Kompetenzwerte der Schülerinnen und Schüler signifikant unter dem Wert von Deutschland (vgl. Eickelmann et al. 2024a, S.58).

Abbildung 1: Mittlere Kompetenzen der Teilnahmeländer (nach Eickelmann et al. 2024a, S. 57)
grün = obere Gruppe, gelb = mittlere Gruppe, orange = untere Gruppe
Entwicklung der Ergebnisse in den letzten zehn Jahren

Für Deutschland lässt sich mit ICILS 2023 (502 Punkte) im Vergleich zu den Durchführungen 2018 (512 Punkte) und 2013 (523 Punkte) ein signifikanter Rückgang der computer- und informationsbezogenen Kompetenzen von Achtklässlerinnen und Achtklässlern verzeichnen (vgl. Eickelmann et al. 2024b, S. 15). In den Jahren 2018 (33.2 %) und 2013 (29.2 %) lag der Anteil der Schülerinnen und Schüler, der maximal die Kompetenzstufe II erreicht, bei einem Drittel. 2023 erreichen hingegen lediglich 40.8 % der Schülerinnen und Schüler die unteren beiden Kompetenzstufen (I und II). Damit verfügt diese Gruppe nur über unzureichende oder grundlegende computer- und informationsbezogene Kompetenzen, mit denen eine erfolgreiche gesellschaftliche Teilhabe in einer zunehmend digitalen Umwelt zu einer Herausforderung wird (vgl. Eickelmann et al. 2024b, S. 17). Der internationale Mittelwert der Gruppe von Schülerinnen und Schülern, die Kompetenzstufe I und II erreichen, liegt bei 50.2 % – also der Hälfte aller getesteten Achtklässlerinnen und Achtklässler. Der Mittelwert der Vergleichsgruppe EU liegt in dieser Gruppe bei 44 %. Die höchste Kompetenzstufe (V) erreichen in Deutschland nur 1.1 % der Schülerinnen und Schüler. Lediglich diese geringe Leistungsspitze „ist u.a. in der Lage, Informationen selbstständig zu ermitteln, sicher zu bewerten und anspruchsvolle Informationsprodukte zu erzeugen“ (Eickelmann et al. 2024b, S. 17). Weitere Informationen zu den zentralen Ergebnissen von ICILS 2023 für Deutschland finden Sie hier.

Abbildung 2: Kompetenzstufenverteilung im Vergleich (nach Eickelmann et al.2024b, S. 16)
Schulform

Die nach Schulform differenzierten Ergebnisse zeigen für Deutschland (2023), dass Gymnasiastinnen und Gymnasiasten mit durchschnittlich 559 Punkten signifikant höhere mittlere computer- und informationsbezogene Kompetenzen erreichen als Schülerinnen und Schüler an anderen Schulformen (472 Punkte). Nach Schulform getrennt betrachtet, hat sich das mittlere Kompetenzniveau von Achtklässlerinnen und Achtklässlern an Gymnasien über die letzten zehn Jahre nicht signifikant verändert (ICILS 2018: 568 Punkte; ICILS 2013: 570 Punkte). An den anderen Schulformen hingegen haben sich die Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler in den letzten zehn Jahren signifikant verringert (ICILS 2018: 493 Punkte; ICILS 2013: 503 Punkte) (Eickelmann et al. 2024b, S. 18). An den nicht gymnasialen Schulformen erreichen über die Hälfte der getesteten Schülerinnen und Schüler nur die unteren beiden Kompetenzstufen (I und II). An Gymnasien hingegen verfügt lediglich circa jede zehnte Schülerin bzw. jeder zehnte Schüler nur über basale computer- und informationsbezogene Kompetenzen. Der Anteil der Achtklässlerinnen und Achtklässler, der die höchste Kompetenzstufe V erreicht, ist an allen Schulformen gering (Gymnasien: ICILS 2013: 3.4 %, ICILS 2018: 4.2 %; andere Schulformen der Sekundarstufe I: ICILS 2013: 0.3 %, ICILS 2018: 0.5 %) (vgl. Eickelmann et al. 2024a, S. 48f.). Allerdings weist die hohe Leistungsstreuung an allen Schulformen auf eine große Heterogenität in den computer- und informationsbezogenen Kompetenzen hin. Die Autorinnen und Autoren merken an, dass die Entwicklung curricularer Materialien und spezifischer Angebote, die auf Seiten der Schulen gezielt für den Aufbau digitaler Kompetenzen genutzt werden können, zukünftig von hoher Bedeutung sein wird (vgl. Eickelmann et al. 2024a, S. 68f.).

Disparitäten/ Hintergrundmerkmale

In ICILS werden mit Blick auf vier Hintergrundmerkmale (Geschlecht, Zuwanderungshintergrund, Familiensprache und soziale Herkunft) Gruppenunterschiede in den computer- und informationsbezogenen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler untersucht. Bisher weisen die Ergebnisse für Deutschland auf deutliche Bildungsdisparitäten hin (vgl. Eickelmann et al. 2024a, S. 73.).

Geschlecht

Für Deutschland zeigen sich 2023 in Bezug auf die mittleren computer- und informationsbezogenen Kompetenzen von Achtklässlerinnen und Achtklässlern geschlechtsspezifische Disparitäten. So erreichen Mädchen mit 507 Punkten ein signifikant höheres Ergebnis als Jungen (497 Punkte.) Dieser Unterschied hat sich in den letzten zehn Jahren nicht signifikant verändert (ICILS 2018: Mädchen: 526 Punkte, Jungen: 511 Punkte; ICILS 2013: Mädchen: 532 Punkte, Jungen: 516 Punkte). Im internationalen Vergleich lässt sich feststellen, dass 2023 in einem Großteil der ICILS-Teilnahmeländer die Mädchen einen signifikanten Kompetenzvorsprung gegenüber den Jungen erreichen, wohingegen in keinem der Teilnehmerländer die Jungen bessere Ergebnisse erzielen als die Mädchen. Die Kompetenzunterschiede zugunsten der Mädchen fallen 2023 in Deutschland mit 10 Punkten signifikant kleiner aus als in der internationalen Vergleichsgruppe (Unterschied: 19 Punkte) und in der Vergleichsgruppe EU (Unterschied: 17 Punkte) (vgl. Eickelmann et al. 2024b, S. 21).

Familiensprache

Unter Einbezug der Familiensprache zeigt sich in Deutschland 2023 ein signifikanter Unterschied in den mittleren computer- und informationsbezogenen Kompetenzen von Achtklässlerinnen und Achtklässlern. Schülerinnen und Schüler mit Deutsch als Familiensprache erreichen durchschnittlich 521 Punkte, wohingegen jene, deren Familiensprache eine andere ist als Deutsch, im Mittel 463 Punkte erreichen. Das entspricht einem Unterschied von gerundet 59 Punkten. In den vergangenen zehn Jahren hat sich dieser Kompetenzunterschied nicht signifikant verändert (ICILS 2018: 49 Punkte Unterschied; ICILS 2013: 44 Punkte Unterschied). Im internationalen Vergleich lässt sich feststellen, dass die mittleren Kompetenzunterschiede zugunsten der Schülerinnen und Schüler mit Deutsch als Familiensprache in Deutschland signifikant größer ausfallen als in der internationalen (Unterschied: 29 Punkte) und in der europäischen Vergleichsgruppe (Unterschied: 36 Punkte). Lediglich in der Slowakei lässt sich mit 88 Punkten ein signifikant größerer Kompetenzunterschied als in Deutschland aufzeigen. 2023 sind die durch die Familiensprache bedingten Kompetenzunterschiede in den meisten ICILS-Teilnehmerländern kleiner als in Deutschland (vgl. Eickelmann et al. 2024b, S. 25).

Soziale Herkunft

Die soziale Herkunft wird in ICILS über den Indikator „kulturelles Kapital“ operationalisiert. Kulturelles Kapital umfasst z. B. den Bildungsstand der Eltern sowie den Zugang zu Büchern oder zu kulturellen Aktivitäten. Differenziert nach dem kulturellen Kapital lassen sich für Deutschland 2023 sehr große signifikante Unterschiede in den mittleren computer- und informationsbezogenen Kompetenzen von Achtklässlerinnen und Achtklässlern feststellen. Schülerinnen und Schüler mit hohem kulturellen Kapital erreichen durchschnittlich 540 Punkte, wohingegen jene mit niedrigem kulturellen Kapital im Mittel nur 483 Punkte erreichen. Das entspricht einem Unterschied von 57 Punkten. In den vergangenen zehn Jahren hat sich dieser Kompetenzunterschied nicht signifikant verändert (ICILS 2018: 49 Punkte Unterschied; ICILS 2013: 45 Punkte Unterschied). In Deutschland fällt der durch das kulturelle Kapital bedingte mittlere Kompetenzunterschied signifikant größer aus als in der internationalen Vergleichsgruppe (Unterschied: 41 Punkte) sowie in der europäischen Vergleichsgruppe (Unterschied: 43 Punkte). Gemeinsam mit 14 weiteren Teilnahmeländern weist Deutschland im internationalen Vergleich die höchsten Kompetenzunterschiede zwischen Schülerinnen und Schülern mit niedrigem und hohem kulturellen Kapital auf, wohingegen in einem Großteil der Teilnahmeländer kleinere Kompetenzunterschiede vorliegen als in Deutschland. Somit bestehen in Deutschland erhebliche sozial bedingte Bildungsungleichheiten in den computer- und informationsbezogenen Kompetenzen (vgl. Eickelmann et al. 2024b, S. 27).

Literatur

Eickelmann, B., Fröhlich, N., Bos, W., Gerick, J., Goldhammer, F., Schaumburg, H., Schwippert, K., Senkbeil, M. & Vahrenhold, J. (Hrsg.) (2024a). ICILS 2023 #Deutschland. Computer- und informationsbezogene Kompetenzen und Kompetenzen im Bereich Computational Thinking von Schülerinnen und Schüler im internationalen Vergleich. Münster: Waxmann.

Eickelmann, B., Casamassima, G., Drossel, K. & Fröhlich, N. (Hrsg.) (2024b). ICILS 2023 im Überblick – Zentrale Ergebnisse, Entwicklungen über ein Jahrzehnt und mögliche Entwicklungsperspektiven. Münster: Waxmann.

Links

Weitere Informationen zu ICILS 2023 finden Sie hier:

Website der Universität Paderborn zu ICILS 2023

Website der International Association for the Evaluation of Educational Achievement (IEA) zu ICILS 2023