Lesekompetenz von Viertklässlerinnen und Viertklässlern im internationalen Vergleich: 20-Jahre-Trend
Im Folgenden stellen wir Ihnen ausgewählte Ergebnisse zur Lesekompetenz von Viertklässlerinnen und Viertklässlern im internationalen Vergleich im Trend der letzten 20 Jahre vor. Die Ergebnisse entstammen dem Bericht über die Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung (IGLU) 2021 und sind repräsentativ. Mit IGLU 2021 liegen nun Daten zu fünf Erhebungszeitpunkten vor, sodass Aussagen über die Entwicklung der Lesekompetenz der Viertklässlerinnen und Viertklässler der letzten 20 Jahre getroffen werden können. Der internationale Vergleich basiert auf 16 Staaten und Regionen, die mindestens an den Erhebungen der Jahre 2001 und 2021 teilgenommen haben; darunter befindet sich auch Deutschland.
Mittlere Lesekompetenz im 20-Jahre-Trend
Von den 16 im Vergleich aufgeführten Staaten und Regionen haben sieben einen signifikanten Anstieg, vier keine bedeutsame Veränderung und fünf einen signifikanten Rückgang der mittleren Lesekompetenz im 20-Jahre-Trend zu verzeichnen. Den höchsten Wert erreicht Singapur. Im Stadtstaat war die mittlere Lesekompetenz 2021 um 59 Punkte höher als 2001. In Deutschland hat die mittlere Lesekompetenz der Viertklässlerinnen und Viertklässler in diesem Zeitraum signifikant um 15 Punkte abgenommen. Größer war der Rückgang nur in Schweden (-17 Punkte) und den Niederlanden (-27 Punkte).
Betrachtet man alle fünf Messzeitpunkte, wird deutlich, dass die mittlere Lesekompetenz in Deutschland von 2001 zu 2006 signifikant angestiegen ist (+9 Punkte), zu 2011 und 2016 jeweils leicht abgenommen hat (-7 Punkte und -4 Punkte) und von 2016 zu 2021 signifikant zurückgegangen ist (-13 Punkte). Im Vergleich dazu sind in Abbildung 2 neben Deutschland auch Singapur mit dem höchsten Anstieg und die Niederlande mit dem größten Rückgang in der mittleren Lesekompetenz aufgenommen.
Entwicklung der Leistungsheterogenität
Die Standardabweichungen zu den oben genannten Mittelwerten in der Lesekompetenz geben Auskunft darüber, wie breit die Streuung der Werte um den Mittelwert ist. Dies kann als Indikator für die Leistungsheterogenität gelesen werden. Eine hohe Standardabweichung bedeutet demnach eine große Leistungsheterogenität. Die Autorinnen und Autoren haben die Entwicklung der Standardabweichung der mittleren Lesekompetenz ebenfalls im 20-Jahre-Trend betrachtet. In den untersuchten 16 Staaten ist die Standardabweichung in zwei Staaten signifikant zurückgegangen. In neun Staaten gab es keine signifikante Veränderung. In fünf Ländern ist die Standardabweichung signifikant gestiegen. Darunter auch in Deutschland.
Der signifikante Anstieg der Standardabweichung sowie der signifikante Rückgang der mittleren Lesekompetenz, wie sie für Deutschland, Schweden und die Niederlande festgestellt wurden, sind als problematische Entwicklung zu bezeichnen. Denn grundsätzlich wird davon ausgegangen, dass ein Bildungssystem effektiv und gerecht ist, wenn das mittlere Leistungsniveau hoch ist und gleichzeitig die „Streuung der Leistungen aufgrund herkunftsbedingter oder anderer Merkmale, die die Schülerinnen und Schüler nicht beeinflussen können“ (S. 112), niedrig ist.
Geschlechterunterschiede
In allen 16 Ländern, die im 20-Jahre-Trend verglichen wurden, besteht zu allen fünf Messzeitpunkten ein Kompetenzvorsprung der Mädchen. Eine signifikante Verringerung dieses Vorsprungs haben Zypern, Hongkong, die Tschechische Republik, die Slowakei und Schweden im Zeitraum von 2001 bis 2021 erreicht. In keinem Land ist die Differenz zwischen Mädchen und Jungen in diesem Zeitraum signifikant angestiegen. In Deutschland gab es zu den unterschiedlichen Messzeitpunkten geringe Veränderungen, der Unterschied von 2001 zu 2021 ist statistisch nicht signifikant.
Schlussfolgerungen und Weiterarbeit mit den Daten
Die aufgeführten Ergebnisse zeigen international sehr unterschiedliche Entwicklungen in der Lesekompetenz der Viertklässlerinnen und Viertklässler. Die Entwicklung in Deutschland bezeichnen die Autorinnen und Autoren als problematisch, da einerseits die mittlere Lesekompetenz signifikant abgenommen hat und andererseits die Leistungsheterogenität zugenommen hat.
Der internationale Vergleich über den langen Zeitraum ermöglicht es, Daten und Charakteristika der Bildungssysteme sowie deren Veränderungen miteinander zu vergleichen und daraus mögliche Optionen und Perspektiven für die Entwicklung des deutschen Bildungssystems abzuleiten.
Quelle
Frey, A., Ludewig, U., König, C., Krampen, D., Lorenz, R. & Bos, W. (2023). Kapitel 5. Lesekompetenz von Viertklässlerinnen und Viertklässlern im internationalen Vergleich: 20-Jahre-Trend. In: McElvany, N., Lorenz, R., Frey, A., Goldhammer, F., Schilcher, A. & Stubbe, T. C. (Hrsg.). IGLU 2021. Lesekompetenz von Grundschulkindern im internationalen Vergleich und im Trend über 20 Jahre. Münster: Waxmann, S. 111-129.