Stirbt die Zeitung aus?

Interview mit OV-Chefredakteur Ulrich Suffner (06.03.2020)

Wir haben uns im Unterricht mit gedruckten Zeitungen und „Onlinejournalismus“ beschäftigt. Die „Oldenburgische Volkszeitung“ bietet ja auch ein epaper an, hat eine Internetseite und einen facebook-Auftritt. Im Interview verrät OV-Chefredakteur Ulli Suffner, in welche Richtung sich die OV entwickeln soll und wie er sich selbst täglich über das Weltgeschehen informiert.


WPU-Kurs: Gibt es mehr Abonnenten der Printausgabe oder mehr E-Paper-Abos?
Suffner: Es gibt zur Zeit noch deutlich mehr Print-Abonnenten als E-Paper-Abonnenten. Aber die Zahl der Digitalleser steigt kontinuierlich. Im Jahr 2019 haben wir täglich 20.820 Zeitungen verkauft, darunter 2521 E-Paper. 2018 haben wir täglich 20.844 Zeitungen verkauft, davon 2073 E-Paper. Daran sieht man, wie schnell sich das Leseverhalten ändert.

WPU-Kurs: Gehören zu den Abonnenten mehr Frauen oder Männer?
Wer abonniert ist nicht wichtig. Wichtig ist, wer die Zeitung liest. Und da bin ich mir sicher, dass Frauen genauso an lokalen Nachrichten interessiert sind wie Männer. Mit einer Ausnahme: den Sportteil lesen deutlich mehr Männer als Frauen. Bundesweite Untersuchungen sagen, dass jede Lokalzeitung 2,6-mal gelesen wird. Bei einer verkauften Auflage von 21.000 Exemplaren können wir also davon ausgehen, dass fast 60.000 Menschen täglich die OV lesen. Die gedruckte Zeitung ist vor allem eine Informationsquelle für ältere Menschen, im Durchschnitt ist der OV-Abonnent sicher deutlich über 50. Man darf aber auch hier nicht vergessen, dass gerade in Familien jüngere Menschen mitlesen.

WPU-Kurs: Wie wichtig ist für die OV der Auftritt bei facebook – schließlich sind das ja kostenlose Nachrichten?

 Suffner: Der Facebook-Auftritt ist wichtig, weil wir mit unseren Kurznachrichten die Menschen im Landkreis Vechta neugierig auf die am nächsten Tag erscheinende Zeitung machen. Außerdem können wir über unseren Facebook-Auftritt unsere Marke Menschen näher bringen, die noch keine Abonnenten sind. In den Landkreis Vechta ziehen seit Jahren viele Menschen zu, die wir gerne als Kunden gewinnen möchten. Schließlich ist Facebook wichtig, um wichtige Informationen schnell unter die Leute zu bringen. Zum Beispiel gab es kürzlich im Raum Damme eine gefakte News, dass angeblich ein Mitarbeiter von Boge am Coronavirus erkrankt sei. Das haben ganz viele Menschen über WhatsApp geteilt und auch geglaubt. Wir haben das Gesundheitsamt des Landkreises Vechta gefragt. An dem Gerücht war nichts dran. Da haben wir über Facebook kommuniziert, dass die Leute den Unsinn nicht glauben sollen.

WPU-Kurs: Werden die Kommentare bei facebook moderiert?
Suffner: Wir moderieren die Kommentare auf unserer Facebook-Seite dann, wenn wir merken, dass nicht mehr sachlich diskutiert, sondern diffamiert wird. Wir fordern im ersten Schritt zur Mäßigung auf und löschen notfalls im zweiten Schritt Kommentare, wenn Diffamierungen und Beleidigungen nicht eingestellt werden. Manchmal ist es schwierig zu entscheiden, wo Meinungsfreiheit aufhört und Diffamierung beginnt. Oft regelt die Community Probleme aber auch selbst.

WPU-Kurs: Wie viele Ihrer Redakteure arbeiten ausschließlich für online-Produkte, z.B. als Videojournalist?
Suffner: Die Redaktion der OV arbeitet integriert, das heißt, es gibt keine Trennung zwischen Print und Online. Der Reporter, der für die Zeitung schreibt, verfasst auch Facebook-Nachricht, Internetmeldung oder Instagram-Post. Er produziert auch kleine Videos. Es gibt einen zentralen Tisch, den wir Newsdesk nennen, an dem alle Beiträge zusammenlaufen, die von den Reportern produziert werden. Am Tisch wird korrigiert und dann im Internet oder am nächsten Morgen in der Zeitung veröffentlicht – in der Regel nach einem Themen- und Zeitplan, den ich wöchentlich und täglich gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen festlege.

WPU-Kurs: Ist geplant, die Online-Aktivitäten noch weiter auszubauen?
Suffner: Demnächst wird die OV ein neues Internet-Portal freischalten, auf dem wir künftig viel mehr Nachrichten anbieten werden, teilweise kostenpflichtig, teilweise umsonst. Die Webseite wird mobil optimiert sein, so dass man nicht nur auf dem PC oder Tablet, sondern auch auf dem Handy ohne Anstrengung lesen kann. Das ist die Zukunft. Aus eigener Erfahrung wisst ihr, dass junge Menschen fast ausschließlich über ihr Smartphone kommunizieren. 

WPU-Kurs: Die Abonnements gehen bei vielen Zeitungen zurück. Was ist aus Ihrer Sicht der Grund dafür?
Suffner: Wie schon gesagt, kommunizieren junge Menschen auf dem Smartphone, während ältere Menschen gerne weiterhin Papier in der Hand haben. Deshalb sinken zwar die Auflagen von Tageszeitungen, aber immer mehr Medienhäuser gewinnen auch neue Abonnenten mit ihren kostenpflichtigen Online-Angeboten. Das Geschäft verlagert sich also ins Netz. Lokaljournalismus wird es weiter geben, allerdings verändern sich Darstellungsform und Nutzung.

WPU-Kurs: Was sind die Vorteile einer Print-Ausgabe?
Suffner: Das ist Ansichtssache. Wenn ich in New York in der U-Bahn fahre und nicht einmal einen Sitzplatz habe, hat eine Zeitung aus Papier überhaupt keine Vorteile. Sitze ich abends mit einem Glas Wein auf dem Sofa lese ich weiterhin gerne auf Papier. Es ist zum Beispiel für die Augen deutlich angenehmer und weniger ermüdend als auf einem Bildschirm zu lesen. Deshalb gibt es zum Beispiel in Skandinavien seit Jahren den Trend, dass die Leute in der Woche mobil lesen und am Wochenende eine Papierzeitung ins Haus bekommen.

WPU-Kurs: Wie lange wird es noch eine gedruckte Ausgabe der OV geben?
Suffner: Noch sehr lange. So lange, wie Menschen bereit sind, für eine Zeitung aus Papier Geld zu bezahlen. Der Online-Journalismus wird immer wichtiger, aber das Lesen auf Papier wird so schnell nicht aussterben. Menschen, die auf Papier lesen wollen, werden dafür in Zukunft aber mehr bezahlen müssen. Drucken und Verteilen müssen finanziert werden. Allerdings ist eine Zeitung – aus meiner Sicht – nicht teuer. Die OV kostet werktags 1,60 Euro und samstags 2,30 Euro. Dafür bekommt man auf dem Markt in Vechta nicht mal mehr einen Milchkaffee. Ich kann mir also gut vorstellen, dass ältere Menschen bereit sind, noch deutlich mehr für ihr Abo zu bezahlen. Und wie gesagt: Die Kombination online/print wird es sicher auch geben.

WPU-Kurs: In unserem Jahrgang 9 lesen nur noch wenige die gedruckte OV: Wie wollen Sie jugendliche Leser in Zukunft für Ihre Zeitung gewinnen?
Suffner: Mir ist es völlig egal, über welchen Kanal Menschen Journalismus konsumieren. Hauptsache, sie tun es. Es ist wichtig, dass sich Bürgerinnen und Bürger in seriösen Quellen informieren, um in unserer Demokratie mitreden zu können. Ich denke, ihr alle werdet irgendwann hoffentlich Mobil-Kunden der OV. Es wird mehr Podcasts und Videos geben, dafür weniger Texte, die man sich bequem von Roboterstimmen vorlesen lassen kann. Dass euch als Jugendliche vieles in der OV (noch) nicht interessiert, ist völlig normal. Aber wenn man älter wird, eine Familie gründet, irgendwo heimisch wird, beginnt man, sich für das direkte Lebensumfeld zu interessieren. Dann will man wissen, was in der Nachbarschaft passiert – egal über welchen medialen Kanal.

WPU-Kurs: Lesen Sie selbst täglich die OV? Welche Nachrichtenportale nutzen Sie, um sich zu informieren?
Suffner: Ja, allerdings einen Tag früher als die Leser. Ich bin als Chefredakteur für alles verantwortlich, was wir veröffentlichen. Deshalb sollte ich schon wissen, was 21.000-Mal gedruckt oder online veröffentlicht wird. Ansonsten lese ich auf Papier noch FAZ oder Welt, um mich über überregionale Politik zu informieren. Mobil lese ich mittags Spiegel-App und Newsletter benachbarter Zeitungen, aber auch Newsletter aus der Medienbranche. Morgens auf dem Weg zur Arbeit höre ich im Auto Podcast, meistens Gabor Steingarts Morning Briefing aus Berlin. Als Fußballfan nutze ich die kicker-App.

WPU-Kurs: Die OV schreibt hin und wieder ein Volontariat aus. Was sind denn die Anforderungen heutzutage an einen Journalisten?
Suffner: Zuallererst: die Berufsbezeichnung Journalist / Redakteur ist nicht geschützt. Es gibt auch keine Berufsordnung. Warum ist das so? Weil wir in unserer Demokratie Meinungsfreiheit haben. In Artikel 5 unseres Grundgesetzes heißt es: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“ Jeder kann also eine Zeitung gründen, einen Blog schreiben, einen Podcast produzieren oder sich wie im alten Athen auf den Marktplatz stellen und seine Meinung sagen.
Das Arbeiten in einer professionellen Redaktion braucht allerdings schon einige Fertigkeiten und Übung. Deshalb werden Journalisten in zweijährigen Volontariaten in Redaktionen ausgebildet. Außerdem gibt es Studiengänge an Universitäten, die auf den Beruf des Journalisten vorbereiten. Grundvoraussetzung ist eine gute Rechtschreibung und sprachliches Talent. Als Journalist muss man heutzutage aber auch Lust auf digitale Medien haben, auf Video, Podcast, Social Media. Vor allem aber muss man neugierig sein, Interesse haben am gesellschaftlichen Leben. Im Volontariat lernt man dann das journalistische Handwerk. Die Ausbildung endet mit einem Arbeitszeugnis des Chefredakteurs oder einem Diplom an der Uni.


WPU-Kurs: Ist „Chef-Redakteur“ Ihr Traumberuf?
Suffner: Naja, Chefredakteur zu werden, kann man nicht planen. Das wollte ich auch nicht unbedingt. Das hat sich ergeben. Aber Journalist ist schon mein Traumberuf. Ich habe schon in der Schule in Lohne in der Schülerzeitung mitgearbeitet und nach dem Abitur für die Jugendseite der OV geschrieben. Ich komme viel herum und lerne interessante Leute kennen. Das gefällt mir.
WPU-Kurs: Herzlichen Dank für Ihre Antworten!

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