Oberlangen. Alexsander Amirow, Alexander Andronow, Filimon Antonow, …: Schüler des Gymnasiums Haren haben toten sowjetischen Gefangenen auf der Kriegsgräberstätte in Oberlangen ihre Namen zurückgegeben. An Holzstelen wurden zunächst 33 Tonziegeln mit Namen und Geburtsdaten angebracht. Weitere sollen folgen.
„Mit den Namen der Soldaten kehrt ein Stück ihrer Würde zurück“, sagte der emsländische Landrat Reinhard Winter (CDU) bei einer Zeremonie auf der im Volksmund „Russenfriedhof“ genannten Kriegsgräberstätte am Rütenweg. Er erinnerte daran, dass die Rotarmisten von den Nationalsozialisten nach ihrer Gefangennahme entgegen allen Regeln des Völkerrechts und der Menschlichkeit behandelt wurden. „Ausreichend Ernährung und medizinische Versorgung wurden ihnen verwehrt, die Haftbedingungen waren menschenunwürdig, Misshandlungen gehörten zur Tagesordnung.“
Wie Winter, der in seiner Funktion als Kreisvorsitzender des Volksbunds Deutsche Kriegsgräberfürsorge (VDK) sprach, betonte, starben mehr als 20.000 Kriegsgefangene der ehemaligen Sowjetunion in den Emslandlagern. In Oberlangen ruhen zwischen 2000 und 4000 von ihnen. Ihre Namen und Lage sind in den allermeisten Fällen unbekannt. Ein unbefriedigender Zustand, wie die Geschäftsführerin der Stiftung Gedenkstätte Esterwegen, Andrea Kaltofen deutlich machte.
„Es vergeht wohl keine Woche, in der nicht Angehörige von ehemaligen Rotarmisten anfragen, um das Schicksal ihrer Vorfahren zu ermitteln und zu erfahren, wo der umgekommene Angehörige beerdigt worden ist“, sagte Kaltofen. Wer kein Grab habe, könne mit dem Verlust eines Vaters, Bruders, Ehemanns oder Sohns noch viel schlechter umgehen, Trauer und Trauerarbeit nicht abschließen. In mühevoller Arbeit könne heute die jahrzehntelang nicht zugängliche, inzwischen aber im Internet verfügbare deutsche Kriegsgefangenenkartei durchsucht werden, um die Daten der sowjetischen Kriegsgefangenen zu ermitteln, so Kaltofen. Das Team der Gedenkstätte sei dem Projekt Namensziegel, initiiert vom VDK deshalb von Anfang an verbunden. Der VDK widmet sich als gemeinnützige Organisation der Pflege und dem Erhalt von Kriegsgräberstätten.
Winter lobte die Recherchearbeit der Schüler und bescheinigte ihnen „echte Friedensarbeit“, auf die sie stolz sein könnten. Sie hätten während ihrer Arbeit unter Federführung von der Fachobfrau für Geschichte am Gymnasium, Katrin Kleesiek-Herding, nicht nur ihre motorischen Fähigkeiten geschult, sondern sich ernsthaft und nachhaltig mit den Auswirkungen der NS-Gewaltherrschaft auseinandergesetzt. „Geschichte ist durch dieses Projekt emotional erlebbar und nachvollziehbar geworden“, betonte Winter und würdigte das Ergebnis der Projektarbeit als „ein bleibendes Mahnmal der Erinnerungskultur“. Dies werde immer wichtiger, weil die meisten Zeitzeugen mittlerweile verstorben sind. Die Rückgabe der Identität an die Toten sei vor allem auch für die Angehörigen wichtig, die nun eine letzte Ruhestätte aufsuchen könnten.
Schulleiter Michael Heuking betonte, dass jeder Name eines Menschen mit dessen Persönlichkeit, Identität und Lebensschicksal eng verbunden sei. „Wer den Toten ihren Namen nimmt, tötet sie im Sinne des Vergessens erneut“, sagte Heuking. Die Kriegsgräberstätte Oberlangen sei für die Schule ein besonderer Ort des Erinnerns und des Lernens.
Stellvertretend für die Schüler, erklärte der Zwölftklässler Simon Fischer, dass die sowjetischen Kriegsgefangenen genauso wie andere Menschen einen Grabstein mit ihrem Namen verdient hätten. „Unsere Tontafeln geben den Toten einen Namen und den Angehörigen einen Ort für ihre Verwandten“, sagte Fischer. Er betonte überdies, dass für ihn Geschichte nicht nur ein Schulfach, sondern – gerade bei diesem Thema – eine besondere Aufgabe mit dem Ziel sei, das Bewusstsein dahingehend zu schärfen, dass es nie wieder systematische Verfolgung geben dürfe. Das Namensziegelprojekt erinnere nicht nur an die Verbrechen, „sondern nimmt uns auch für die Zukunft in die Pflicht“.
Für den musikalischen Rahmen sorgte der Schulchor des Gymnasiums Haren unter der Leitung von Thomas Stegemann.
aus: Meppener Tagespost, Ausgabe 27.08.2018, S. 32