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Ohne Dokumente und Deutschkenntnisse bleiben Flüchtlingen deutsche Universitäten verschlossen. Die Berliner Kiron University bietet Einwanderern Weiterbildung ohne bürokratische Hürden.

Eine junge Universität in Berlin tritt mit ambitionierten Zielen an: Flüchtlingen einen Universitätsabschluss zu ermöglichen – und das kostenlos, ohne lange Wartezeiten und bürokratische Hürden. Geht der Plan auf, wäre dies weltweit einzigartig. Im Oktober 2015 startete die Kiron University mit 1.000 Erstsemestern in den Studienfächern Wirtschaftswissenschaften, Ingenieurwesen, Informatik, Architektur und Interkulturelle Studien. Hinter Kiron stehen Sozialunternehmer, Flüchtlinge, Studierende und Professoren. Neben einem circa 50-köpfigen Kernteam und mehr als 200 Freiwilligen ist eine Reihe von Institutionen und Personen, vor allem Universitätsgründer und -direktoren, beratend tätig.

Viele Flüchtlinge teilen das Schicksal, ihre Ausbildung im Gastland nicht oder nur mit zeitlicher Verzögerung weiterführen zu können, weil ihnen aus bürokratischen Gründen der Zugang zu höherer Bildung verwehrt bleibt. Denn um in Deutschland zu studieren, müssen sie ihre Identität, einen Schulabschluss, Deutschkenntnisse und die Anerkennung ihrer Schutzbedürftigkeit durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) nachweisen. In vielen Fällen haben geflüchtete Menschen jedoch Pass und Zeugnisse zurückgelassen oder auf der Flucht verloren. Ausländische Schul- und Studienabschlüsse werden häufig nicht anerkannt, es fehlt zudem an ausreichenden Deutschkenntnissen und am Geld für Studiengebühren.

Einfach mit dem Studium beginnen

„Flüchtlinge leben jahrelang in Ungewissheit und ihr Talent steht auf Stand-by“, fasst Markus Kreßler, einer der Gründer von Kiron und selbst noch Student, die Situation zusammen. Deshalb passt die Kiron University ihr Studienangebot den besonderen Bedingungen der Geflüchteten an: Um lange Wartezeiten insbesondere durch das Nachholen des Abiturs und den Erwerb von Deutschkenntnissen zu vermeiden, spielen Dokumente, Sprachprüfungen und Aufenthaltsstatus zunächst keine Rolle. Wer geflüchtet ist, kann einfach mit seinem Studium beginnen: Möglich wird dies durch allgemein zugängliche Onlinekurse verschiedener Universitäten in englischer Sprache, sogenannte MOOCs (Massive Open Online Courses). Dieses neue Lernformat richtet sich an riesige Teilnehmerzahlen, ist kostenlos und hat keinerlei Zugangsvoraussetzungen. Wissensvermittlung erfolgt durch die Kombination von Videos, Lesematerial, Aufgaben, Tests und Diskussionsforen, in denen sich die Lernenden untereinander sowie auch mit Lehrenden austauschen können.

Onlinebasierte Kursformate bieten Flexibilität

Weil US-amerikanische Eliteuniversitäten wie Harvard, Stanford oder Yale zu den Vorreitern dieser Entwicklung zählen, bestreiten Studenten der Kiron University ihre ersten beiden Studienjahre mit Lehrveranstaltungen der renommiertesten Universitäten der Welt. Dazu unterhält Kiron Partnerschaften mit den internationalen MOOCs-Plattformen coursera, edX, iversity sowie openHPI, der Plattform des Potsdamer Hasso-Plattner-Instituts.

Für Kiron bilden diese onlinebasierten Kursformate die Basis, um Flüchtlingen jene Flexibilität zu geben, die ihre Situation oft verlangt: Das Studium kann ortsungebunden und nach eigenem Zeitplan und -tempo absolviert werden. Ein weiterer Vorteil der Nutzung von MOOCs-Plattformen: Weil Kiron auf bestehende Inhalte zurückgreift, kostet das Studium nur ein Bruchteil dessen, was normalerweise anfällt. Zudem hat die Universität über Crowdfunding mehr als eine halbe Million Euro für die Vergabe von 447 Stipendien eingesammelt. Sobald der Beweis erbracht ist, dass Studenten ihr Studium erfolgreich an der Kiron University abschließen, dürfte die langfristige Finanzierung kein Problem sein, meinen die Gründer. Die bislang unentgeltlich arbeitenden Initiatoren hoffen etwa auf staatliche Kompensationszahlungen, wie sie auch andere private Hochschulen erhalten, sowie Fördergelder.

Abschluss an klassischer Universität

Um einen anerkannten Abschluss anbieten zu können, verbindet Kiron die Onlinekurse mit dem Angebot traditioneller Universitäten: Bei entsprechendem Studienerfolg wechseln die Studentinnen und Studenten nach vier Online-Semestern an eine Universität mit Präsenzkursen. Erst zu diesem Zeitpunkt werden die normalerweise für ein Studium benötigten Dokumente verlangt. Dafür arbeitet Kiron mit derzeit 15 Partneruniversitäten in Europa, dem Nahen Osten, Westafrika, den USA und Kanada zusammen. In Deutschland sind dies etwa die RWTH Aachen, die Hochschule Heilbronn und die Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde. Dass sich so viele Universitäten bereiterklärten, die Onlinekurse anzuerkennen und gemeinsam mit Kiron ein Konzept erarbeiteten, um Studenten zu einem Abschluss zu führen, habe die eigenen Erwartungen übertroffen, meint Markus Kreßler.

Die Gründer wollen den Flüchtlingen jedoch nicht nur Starthilfe in ein neues Leben geben. Für sie hat das Konzept der Kiron University auch eine ökonomische Bedeutung. Denn Bildung spielt eine entscheidende Rolle bei der Integration. Deren Dauer und Kosten können erheblich gesenkt werden, wenn die Ankommenden möglichst schnell auf eigenen Beinen stehen. Nicht zuletzt stellen gut ausgebildete Flüchtlinge ein hohes Potenzial für die deutsche Wirtschaft dar, denn sie bringen seltene Sprachkenntnisse und vielfältige Erfahrungen in die Unternehmen ein.

Quelle:

https://www.goethe.de/de/kul/wis/20668117.html