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Die Sterne und das Leben

Manche würden sie als verloren bezeichnen. Sie, die mit ihrem Van meilenweit von jeglicher Zivilisation entfernt in den Highlands stand, auf dem Dach liegend den Nachthimmel betrachtend.

Das Dach des Vans unter ihrem Rücken fühlte sich kalt an und drückte an manchen Stellen. Sie hatte ihre Hände zu beiden Seiten ausgestreckt, die Beine verschränkt und den Blick in den Sternenhimmel über ihr gerichtet.

Sie hatte einmal gelesen, dass Autoren den Sternenhimmel als ,,tiefblaues Kleid mit funkelnden Kristallsplittern“ beschrieben haben und fand, dass sich dieser Satz viel zu einfach für eines der größten Geheimnisse der Menschheit anhörte. Aber war die Einfachheit nicht gut?

War es nicht… erfrischend, Weltwunder als simpel herunterzubrechen, zu lächeln und es dabei zu belassen? Sie wusste es nicht.

Manche würden sie als verloren bezeichnen. Sie, die mit ihrem Van meilenweit von jeglicher Zivilisation entfernt in den Highlands stand, auf dem Dach liegend den Nachthimmel betrachtend.

Sie musste grinsen bei dem Gedanken. Sie war nicht verloren, es hatte sie nur noch niemand gefunden. Und vielleicht war das das Schöne daran.

Zu existieren, für sich selbst, ohne jemanden um sich herum. Nur die Weiten der Natur, der glatten Seen, dem Himmel und den Sternen. Wenigstens für eine kurze Zeit, bis sie gefunden werden wollte.

Nächtelang, eingesperrt zwischen den Fassaden der Stadt, hatte sie sich gefragt, ob es für ihre Gedanken vielleicht einfach keinen Platz gab auf der Welt. Oder ob dieser Platz einfach nicht genug war.

Hier, im Angesicht des Universum dachte sie anders. Wenn jeder Gedanke ein Stern wäre, wäre das Universum wirklich unendlich. Aber wer könnte das schon wissen? Sie war froh, mit den Weiten um sich herum. Mit dem Alleinsein in dem Moment, sie fühlte sich angekommen und verfluchte sich dabei selbst für ihre Undankbarkeit.

Undankbar gegenüber allen, die ihr ihr gemütliches, normales, privilegiertes Leben ermöglicht hatten und sie, die sich nichts davon wünschte.

Vielleicht würde sie anders denken, wenn sie nicht von Anfang an unter diesen Umständen aufgewachsen wäre. Höchstwahrscheinlich sogar. Aber das war sie nicht, so aufgewachsen.

Sie, die mehr verliebt in den Sternehimmel war, als in irgendetwas oder jemanden anderen. Sie, die in diesem Moment hinaufstarrte und versuchte, Sternbilder zu erkennen. Eigentlich kannte sie ja nur den großen und kleinen Wagen. Aber in ihrem Kopf fügte sich jedes noch so kleine Leuchten ein in eine eigene, wunderschöne Konstellation nur für sich selbst ein. Jedes Licht hatte seinen Platz in ihrer Dunkelheit und sie mochte es, die Lichter nach ihren Wünschen anzuordnen, ohne das je jemand wusste, dass der Stern da, genau dieser da oben, in ihrer Konstellation seinen Platz hatte.

Und grade jetzt, wo sie nach den Sternen griff, hatte sie das Gefühl, sich selbst näher gekommen zu sein als in jedem anderen Moment.

Und oh, was hätte sie wohl gedacht, wenn sie gewusst hätte, dass in eben dieser Sekunde er dort oben saß und die Erde als winziges, kleines Licht in die feine Linie seiner eigenen Konstellationen einordnete.

Von Jule Budde 🙂