Herr und Frau Brüning wurden vom Präventionsrat Uchte eingeladen, ihr neues Projekt „Zwischen zwei Welten“ vorzustellen. In der Aula der Obs-Uchte fanden sich interessierte Eltern der Samtgemeinde ein und folgten dem etwa 3 ½ stündigen Vortrag konzentriert und aufmerksam bis zur letzten Minute. Es waren trotz der späten Stunde auch einige Kinder dabei – und haben ebenfalls bis zum Schluss interessiert zugehört.
Nach einer kurzen Begrüßung von Anke Tubbesing für den Präventionsrat schalteten Herr und Frau Brüning sofort auf „Präsentationsmodus“ und befeuerten die Zuhörerschaft mit wichtigen Aspekten des Medienzeitalters und dessen Konsequenzen auf Wahrnehmung und Informationsverarbeitung und die damit einhergehenden Auswirkungen auf die Lern-, Arbeits- und Sozialentwicklung der heutigen Kinder … und Erwachsenen.
Dafür möchte ich das Konzept der Brünings zu dieser Veranstaltung zitieren. Hier fassen sie mit eigenen Worten das Thema zusammen. Ergänzungen aus dem Vortrag sollen die Aussagen veranschaulichen:
Wilfried Brüning: Zwischen zwei Welten – 06.05.19, 19.00 Uhr, OBS Uchte
Erziehung war nie einfach, nicht einmal vor den Zeiten des Internets, aber seit der Entwicklung des Internets scheint es sie für viele Eltern zu einem schier unlösbaren Problem zu werden.
Ich möchte Eltern dazu ermutigen, diesen schwierigen Erziehungsauftrag aktiv anzunehmen.
Das Medienzeitalter hat in den letzten Jahren richtig an Fahrt aufgenommen. Digitale Medien sind überall: Im Berufsleben, in der Freizeit und das Internet ist längst selbstverständlicher Bestandteil unseres Lebens.
Alle sind begeistert von den nahezu unbegrenzten Möglichkeiten und ganz besonders unsere Kinder. Sie bewegen sich stunden- und tagelang in der virtuellen Welt und durchschauen die Technik schneller, als wir Eltern World Wide Web sagen können. Facebook, Twitter, WhatsApp, Onlinespiele etc. prägen das Freizeitverhalten und die Kommunikation unserer Kinder enorm.
Kein Jugendlicher, der nicht an der Bushaltestelle mal eben kurz sein Smartphone checkt.
Unsere Kinder werden – anders als die Generation vor ihnen – in zwei Welten hinein geboren: Die reale Welt und die digitale.
In der digitalen Welt kennen sie sich bestens aus – aber wie ist das mit der realen Welt?
Kann ein Kind, das perfekt auf dem iPad zeichnen kann, einen echten Stift sicher über ein Blatt Papier führen? Kann ein Junge, der an der Playstation jedes Fußballsiel gewinnt, in der Realität auch den Ball perfekt führen? Ist die Ausgewogenheit zwischen realem und digitalem Leben bei unseren Kindern gegeben?
Uns Eltern kommen so langsam Zweifel: ist das alles noch gut für unsere Kinder? Und auch Erzieher und Lehrer schlagen Alarm: Sie melden zunehmend unruhige Klassen und Kinder, die sich nicht mehr dauerhaft auf ein Thema konzentrieren können.
Die Bedenken von Eltern und Pädagogen sind berechtigt: neben den vielen positiven, arbeitserleichternden Aspekten bringt die rasante Entwicklung der digitalen Technik auch negative Begleiterscheinungen mit, und um die werden wir uns an diesem Abend kümmern.
Eltern finden sich in einer Bredouille wieder: Erlauben, oder verbieten? Kinder sollen die Möglichkeiten der digitalen Welt ja schließlich nicht „verschlafen“. Eltern sind oft von der Angst getrieben, Ihre Kinder könnten den Anschluss verpassen, den Anforderungen des modernen Arbeitslebens später nicht gewachsen sein. Andererseits sollen Sie sich zu starken, selbstbewussten Persönlichkeiten entwickeln.
Die Antwort muss also sein: erlauben und begrenzen.
Bedenkenlos zu erlauben ist die aktive Mediennutzung:
Radio, Bücher, Zeitschriften, Hörspiele, Musik, Recherche im Internet und natürlich für alle schulischen Zwecke. Aber auch der kreative, schöpferische Umgang mit Bild,- Schnitt,- und Tonprogrammen ist unproblematisch: Solange unsere Kinder die Neuen Medien als ein Werkzeug begreifen, als ein Werkzeug, mit dem man eigene Werke schafft, (Fotosafari, selber Filme drehen, Musik produzieren) ist gegen den Einsatz digitaler Technik nichts einzuwenden.
Begrenzt werden muss der Bildschirmmedienkonsum, also ausgerechnet die Lieblingsbeschäftigung unserer Kinder:
Fernsehen, DVD, Computer- und Konsolespiele, Chatten, usw.
Auf die Frage, warum sich übermäßiger Bildschirmmedienkonsum negativ auf die Entwicklung unserer Kinder auswirkt, können uns Gehirnforscher ziemlich genaue Auskünfte geben. Dieses gelingt ihnen durch bildgebende Verfahren, mit denen sie wichtige Entwicklungsschritte unserer Kinder sichtbar machen können. Sie haben in den letzten Jahren viele Erkenntnisse darüber gewonnen, unter welchen Bedingungen sich unsere Kinder prächtig entwickeln und unter welchen eben nicht.
Diese Ergebnisse werde ich am Elternabend unter den folgenden vier Aspekten genauer besprechen:
- Wie entwickelt sich das Gehirn unserer Kinder?
Wir alle kommen mit einer phantastischen Grundausstattung an Neuronen auf die Welt. Fast alle ohne Aufgabe, aber alle begierig darauf, an die Arbeit zu kommen, dazu müssen sie von ihren eigenen Nutzern erst noch aktiviert werden. Wie das am besten gelingen kann, erkläre ich anhand vieler praktischer Beispiele. Eins ist dabei klar: Fernseher bringen die Neuronen unserer Kinder dabei nicht auf die nötige „Betriebstemperatur“. Eine Zitrone hilft mir auf eindrucksvolle Weise dabei, dies zu beweisen.
Ein Zuschauer – nennen wir ihn Lukas – erkundet auf der Bühne eine Zitrone und wird dabei gefilmt. Alle anderen verfolgen diesen Vorgang auf der Leinwand.
Lukas erarbeitet sich die Zitrone mit allen Sinnen: er sieht, riecht, schmeckt und fühlt die Zitrone und erfährt auch deren Gewicht und Textur. Dabei verknüpfen sich aus den entsprechenden Gehirnfeldern viele Neuronen zu einer “Zitronenwirklichkeit”, die mit seiner Erinnerung verknüpft wird: gelb wie …, riecht wie …, der besondere Knubbel wie …
Die Zuschauer/innen erleben diesen Vorgang nur zweidimensional über das Sehen und das Hören. - Wie funktioniert das Lernen lernen?
Unser Gehirn ist eine Zusammenhang-Suchmaschine. Es will also immer lernen, auch beim Fernsehen. Das Problem ist nur: Mit den Regeln, die man beim Fernsehen lernt, kann man keine Hausaufgaben lösen. Ich stelle hier den Flimmertakt und den Lerntakt vor. Die Gegensätze dieser Beiden verdeutlichen, warum sich der Flimmertakt zum „Feind“ aller Lehrenden entwickelt halt. Und noch eine Frage: Kann gerade erworbenes Wissen durch übermäßigen Bildschirmmedienkonsum wieder überschrieben werden?
Kinder erleben im Fernsehkonsum eine übertrieben und unwirkliche Geschwindigkeit. Das reale Leben läuft langsamer.
Wenn Kinder/wir lernen, benötigt das Gehirn mehrere Stunden, um das gerade aufgenommene als Wissensspeicher zu sichern. Wenn “zur Belohnung” oder aus Langeweile an der Bushaltestelle sofort ein digitales Spielgerät genutz wird, wird aus der vermeintlichen Belohnung eine aktive Strafe, da der Lernstoff durch das “gedaddel” vernichtet wird.
- Metakompetenzen – warum werden diese immer wichtiger?
In der heutigen Berufswelt kommt es immer weniger auf das pure Wissen sondern vielmehr auf die so genannten „Soft Skills“ an. Metakompetenzen, früher auch als Schlüsselqualifikationen bezeichnet, bilden die Statik für das Selbstvertrauen in das eigene Können unserer Kinder. Reale Erfahrungen fördern diese Kompetenzen, virtuelle leider nicht. Um dieses Phänomen zu erklären, bringe ich meinen Werkzeugkoffer mit.
Ich kann das, was ich übe: Spiele ich ein digitales Fußballspiel, kann ich digital spielen, aber nicht im echten Fußballspiel -> ein sehr schön anschauliches Beispiel.
- Über Dopaminduschen.
Dopamin ist ein Botenstoff, den unser Gehirn ausschüttet, um uns zu belohnen, z.B. dann, wenn wir ein Problem gelöst haben. Es wird oft das „Glückshormon“ genannt. Nach diesem Glückshormon sind wir Menschen regelrecht süchtig, weil es uns gute Gefühle verschafft. Computerspiele haben da eine ganz tückische Eigenschaft: Sobald sich unsere Kinder z.B.: vor eine Spielkonsole setzen, erhöht sich die Dopaminfrequenz sofort um 50 %, bei Gewaltspielen um 100 %. Kinder werden hier schneller belohnt, viel schneller als für Erfolgserlebnisse im realen Leben.
Um ein guter Fußballspieler zu werden, muss ich wochen-, monate- oder wahrscheinlich jahrelang üben. Ich muss zu den Übungsstunden gehen und mich in realer Zeit immer wieder anstrengen. Dann werde ich hoffentlich ab und zu kleine Efolgserlebnisse haben – und damit auch ein kleines “Dopamintröpfchen” erhalten. Dafür werde ich mich sicherlich auch “mal” zwingen müssen, wenn die anderen Freunde ins Schwimmbad gehen. So bilde ich mein “Arbeitsverhalten” aus und erfahre ganz “nebenbei” eine positive Entwicklung meines “Sozialverhaltens” im Umgang mit meinem Team, meinem Trainer und den anderen Manschaften.
Spiele ich ein digitales (Fußball)-spiel, haben die Designer dafür gesorgt, dass ich innerhalb kürzester Zeit – oft von Minuten – die ersten Erolgserlebnisse erhalte und mit Dopamin überschüttet werde. Dann spiele ich weiter, erhalte wieder meine Dopamin-belohnung, spiele weiter, erhalte meine Dopaminbelohnung …
Die versprochenen Dopamine sind also ein Erklärung dafür, dass unsere Kinder 3 Stunden hochkonzentriert vor einem Computerspiel verweilen können, vor einer Matheaufgabe noch nicht einmal 10 Minuten…
Was wir nicht vergessen dürfen: Wenn wir Kinder wären, säßen wir genauso begeistert vor den Konsolen, um jede Minute „Verlängerung der Medienzeit“ kämpfend.
Anhand dieser vier Aspekte wird klar: Wenn Eltern wollen, dass sich ihre Kinder zu glücklichen, lebensbejahenden und selbstständigen Menschen entwickeln, müssen sie ihren Erziehungsauftrag um eine unangenehme Aufgabe erweitern: Sie müssen den Bildschirmmedienkonsum ihrer Kinder jeweils altersgemäß begrenzen.
Mit der “Zwei-Welten-Waage” können Eltern dieses Konzept übernehmen und gemeinsam mit den Kindern eine Abmachung treffen, wie sie im Gleichgewicht bleiben wollen und die virtuelle mit realer Spielzeit ausgleichen wollen.
Damit sie diese schwierigste aller Aufgaben mit einem guten Gewissen und einer starken inneren Haltung bewältigen können mache ich auf diesem Elternabend deutlich, dass eine Begrenzung des Bildschirmmedienkonsums keine Willkür, sondern für die Entwicklung unserer Kinder unbedingt notwendig ist.
Das ist für alle Eltern ein schwieriges Unterfangen und kann nur gelingen, wenn Eltern miteinander (also ohne Kind) einen gemeinsamen Standpunkt entwickeln … UND HART BLEIBEN. Kinder sind sehr geschickt darin, Eltern gegeneinander auszuspielen und “nur noch ein bisschen” oder “ausnahmsweise” die Vorgaben auszudehnen.
Das bedeutet, so die Aussage der Brünings, zu Beginn etwa 14 Tage puren Stress! Aber “da müssen wir durch” und dürfen nicht einknicken. Die Kinder werden uns dann richtig doof finden … das dürfen sie auch!
Ähnlich wie beim Zähne putzen (siehe Karius und Baktus) sollen unser Kinder Regeln lernen, wie sie ihre phantastischen Neuronen vor dem Verkümmern schützen können.
Kindern kann man sehr plastisch verständlich machen, dass das Zähneputzen die Schwarzfärbung und damit die Zerstörung der Zähne verhindert. Kinder können auch begreifen, dass es für sie nicht gut ist, Alkohol zu trinken.
Mit diesen Vergleichen können Bilder aufgebaut werden, die für die Gesundheit des Gehirn genutzt werden können.
Was noch wichtig ist:
Es geht mir nicht um eine Verteufelung der neuen Medien.
Es wäre widersprüchlich, dass jemand, der selbst Medien produziert, diese auch noch verteufeln würde.
Ich bin nicht gegen das Netz.
Ich bin auch nicht gegen die neuen Medien.
Meiner Meinung geht es auch gar nicht darum, dafür oder dagegen zu sein, man kann auch nicht gegen das Wetter oder gegen die Farbe des Himmels sein.
Die digitale Revolution ist nicht mehr umkehrbar.
Ich möchte unsere Kinder für das Mediale stark machen:
– damit sie Herr bzw. Frau in Ihren Köpfen bleiben,
– damit sie über die digitalen Medien bestimmen können und nicht umgekehrt.
Die größte Medienkompetenz besitzt der, der sein Leben durch die neuen Medien weder reglementieren noch beherrschen lässt.