Zeitzeugengespräch mit der Holocaust-Überlebenden Henriette Kretz
„Ja, eine traurige Geschichte, aber sie muss erzählt werden“, mit diesen Worten ging Henriette Kretz auf die Tränen in der Gesprächsrunde ein, die sich einstellten, als sie von der Ermordung ihrer Eltern durch deutsche Soldaten berichtete. Die jüdische Familie war von einem ukrainischen Ehepaar vor der Deportation in ein Vernichtungslager versteckt worden, wurde entdeckt und Vater und Mutter schließlich auf offener Straße erschossen. Die acht Jahre alte Henriette konnte dabei fliehen. „Ich war der einsamste Mensch auf Erden“, so die Holocaust-Überlebende, die am 25. Januar 2017 zwei Mal vor Schülerinnen und Schülern des Abiturgangs am Gymnasium Bad Nenndorf ihre Geschichte erzählte.
Sie und ihre Eltern waren Opfer des Raub- und Vernichtungskrieges, den das nationalsozialistische Deutschland ab 1939 im Osten Europas führte; zunächst musste die junge Familie (der Vater war Leiter einer Kinderheilanstalt) unter sowjetischer Herrschaft im von Stalin eroberten Teil Polens leben, danach folgte ab 1941 die Herrschaft der Deutschen, die schon bald damit begannen, die Verfolgungs- und Tötungspläne gegen Juden auch in der Stadt Sambor (heute in der Ukraine) umzusetzen. Nur den guten Kontakten des Vaters war es zu verdanken, dass die Familie mehrfach der Deportation und Ermordung entging und sich dann für längere Zeit in einem Versteck aufhalten konnte. Die Waise Henriette Kretz rettete sich schließlich in ein Waisenhaus, welches von katholischen Nonnen geleitet wurde und wo auch weitere jüdische und Sinto-Kinder vor der Ermordung geschützt worden sind. Ein Onkel, der einzige Überlebende aus der Familie, nahm Henriette nach dem Krieg an sich, sie wuchs in Belgien auf, studierte und arbeitete als Lehrerin.
Seit 20 Jahren berichtet sie, vermittelt durch das Maximilian-Kolbe-Werk, über ihr Schicksal. Immer ist ihre Botschaft: Es gibt auch heute Unterdrückung, Unrecht und Leid. Setzt euch dafür ein, dass dieses endet.
Michael Imhof