Beobachtungen eines Lehrers (Zaragoza)

Dass das kulturhistorische Progamm einer Austauschfahrt nur ein Teil des Gesamterlebnisses ausmacht, ist jedem klar, der bereits einmal an solch einer Fahrt teilgenommen hat. Mindestens ebenso nachhaltiges soziokulturelles Lernen findet meiner direkten Beobachtung entzogen in den Gastfamilien statt: der seit zwei bis drei Jahren mit dem Erwerb der spanischen Sprache befasste Schüler befindet sich schlagartig in einer recht ungewohnten Situation. Er muss das Schulwissen anwenden, um seine Grundbedürfnisse eigenständig befriedigen zu können. Regelmäßig wiederholen sich Situationen wie folgende: Schüler X will sich ein belegtes Brötchen kaufen, wendet sich an den Lehrer mit der Bitte, er möge das erforderliche Verkaufsgespräch (mehrmals im Unterricht geübt) für ihn führen, denn “ich weiß doch gar nicht, was ich sagen soll”. Der Lehrer schüttelt unter Verweis auf die recht beeindruckende Spanischnote des Schülers X den Kopf, woraufhin Schüler X eine bemerkenswerte kommunikative Kompetenz beim Erwerb von Grundnahrungsmitteln an den Tag legt und schließlich sein Erfolgsgefühl im Verbund mit dem bocadillo genießt. Man kann also in der Schule durchaus für das “richtige” Leben relevante Dinge lernen. Im Vergleich zu den sich in recht kurzer Zeit entwickelnden intensiven Freundschaften (die mitunter amourösen Charakter annehmen können) wirken solch kleine Erfolgserlebnisse wie die des erfolgreichen Brötchenkaufs recht bescheiden. Der Spanier ist ein sehr geselliger Mensch, was sich auch auf die deutschen Austauschschüler überträgt: gemeinsame Aktivitäten zwecks Erkundung der aktuellen Jugendkultur sind an der Tages-(bzw. Nacht-)ordnung. Die hierbei entstehenden positiven Bindungen zeigten sich mir symbolisch am Tag unserer Abreise. Nicht feuchte Augen, nein, ein Meer von Tränen bildete den Rahmen einer erschütternden Verabschiedung, untermalt von vielfach wiederholten Versprechungen, sich möglichst bald wiederzusehen und ohnehin nach den Abitur mindestens ein Jahr in Spanien verbringen zu wollen.
So ungefähr wiederholt sich Jahr für Jahr die Reise nach Zaragoza (dt:Saragossa), und vielleicht bist Du ja eine(r) der Glücklichen, die uns irgendwann einmal in den Süden Europas begleiten werden, ich verspreche Dir, Du wirst es nicht bereuen und noch Deinen Enkelkindern davon berichten.

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