COME! Projekttreffen in Santiago de Compostela (16.02.-23.02.2018)
Pilgern light: Wir waren dann mal (kurz) weg
Eigentlich sollte man wohl zu Fuß nach Santiago de Compostela anreisen, wie es seit Jahrhunderten Pilger taten und tun, um am Ende des Jakobswegs die Gebeine des Heiligen zu verehren und seine Kleidung zu verbrennen. In unserem Fall musste es das Flugzeug tun, das die deutsche Gruppe wohlbehalten über Frankfurt zum eher übersichtlichen Regionalairport von Santiago de Compostela in Galizien brachte. Ziel des Aufenthaltes war auch weniger einer Pilgerreise zur Selbstfindung als vielmehr das letzte Projektgruppentreffen des Erasmus+ Projektes COME!, das seit 2016 Schulen aus Frankreich, Polen, Deutschland und eben Spanien verbindet um gemeinsam verschiedene Aspekte von Mobilität zu thematisieren. Diesbezüglich ist Santiago de Compostela dann aber doch eine Reise wert, was sich im Programm deutlich zeigte und dazu führte, doch einen flüchtigen Gedanken an eine leider unmögliche Verlängerung des Aufenthaltes zu verschwenden.
Santiago selbst ist eine Stadt der Gegensätze, die auf der einen Seite sehr durch das Pilgerbusiness geprägt ist und mit einer eindrucksvollen Altstadt, vielen Bars, Restaurants, Herbergen und vor allem der alles überragenden Kathedrale aufwarten kann. Allerdings ist auch deutlich zu merken, dass über 30.000 Studenten das Stadtbild prägen und man sich nahe der Herzkammer der galizischen Textilindustrie befindet, die mit dem Namen Zara verbunden ist. Die wechselvolle Geschichte der Stadt wurde uns durch eine szenische Stadtführung durch die spanischen Gastgeber nahe gebracht, die mit viel Liebe zum Detail kurzweilig Highlights mit Bezug zu Mobilität darboten. Besonders gelungen hier der Besuch der „amerikanischen Bibliothek“, eine Sonderabteilung der Universitätsbibliothek, die von einem sogenannten „Indianer“ gestiftet wurde. „Indianer“ sind hier die Spanier, die nach Südamerika auswanderten und dann später nach gemachtem Glück wieder in die Heimat zurückkehrten. Auch der Blick von oben auf die Stadt, zunächst vom Dach der Universität und später vom Dach der Kathedrale zeigt die Verbindung von Tradition und Moderne, und das bei überraschend gutem Wetter, zumal Santiago im Verdacht steht, an über 160 Tagen im Jahr mit Regen aufzuwarten.
So ganz ohne Wandern ging es dann doch nicht. Die Gruppe unternahm einen Ausflug nach Fisterra, von Santiago aus gesehen das westliche Ende des Jakobswegs, das einen zum Ende der Welt (Finis Terra) bringt. Zwar nicht ganz der westlichste Punkt des Kontinents ist Fisterra trotzdem ein eindrucksvoller Ort, der einem die Unendlichkeit des Meeres vor Augen führt. Der Tradition, dass man dort seine Kleidung am Ende des Pilgerwegs verbrennt, folgten wir nicht, allerdings gaben die gewanderten 10 Kilometer immerhin einen Eindruck vom Pilgern und vom letzten Ende des Pilgerwegs, auch wenn es nicht ganz für Blasen an den Füßen gereicht hat.
Ein zweiter ganztägiger Ausflug führte die Gruppe etwas weiter südlich in ein Zentrum der Fischwirtschaft und zu einem weiteren touristischen Zentrum. Der Auftakt bildete ein Besuch in der Konservenfabrik von Friscos, in der für einen globalen Markt Muscheln und Thunfisch verarbeitet werden. Nachdem die Fische auf den Weltmeeren gefangen worden sind, werden die vollständigen Thunfische in der Fabrik tiefgefroren zerlegt, filetiert, gekocht und dann in die typischen Dosen gefüllt – eine Prozess, bei dem noch überraschend viel Handarbeit eine Rolle spielt, etwa bei der Aussortierung der besten Stücke. Belohnt wurde das Aushalten der Gerüche und Anblicke durch zwei Dosen Thunfisch, die allerdings noch ein wenig, so zwei bis drei Jahre, lagern sollten, damit er seinen vollen Geschmack entfaltet, so der Angestellte der Fabrik, der die Führung fachkundig durchführte.
In O Grove befindet sich ein Areal mit über 3000 schwimmenden Plattformen, die zur Zucht von Muscheln dienen. Auf dem Ausflug mit einem Glasbodenboot wurde erklärt, wie die Zucht und Ernte funktionieren, bevor man selber große Mengen frisch gekochter Muscheln verzehren durfte, zum Glück für einige aber auch nicht musste. Die Mittagspause wurde am Strand von Lanzada verbracht, dem im Sommer meistbesuchten Strand Galiziens, der sich uns menschenleer und in strahlendem Sonnenschein präsentierte und, wie zu erwarten, führte dies dann auch zu (unfreiwilligem) Wasserspaß. Der Abschluss des Tages bildete ein Besuch im Dorf Combarro, das mit den pittoresken kleinen Getreidespeichern auf Stelzen direkt am Wasser zum einen die typisch galizische Verbindung von Landwirtschaft und Fischerei zeigte und zum anderen eindrucksvoll die Bedeutung von Frauen in einer von Migration geprägten Gesellschaft zeigt. In Combarro waren am Ende des 19. Jahrhunderts 9 von 10 Frauen ohne Ehemann, da diese ihr Glück in der Ferne suchen mussten um die Familie zu Hause zu finanzieren.
Flankiert wurde der Besuch durch umfangreiche Öffentlichkeitsarbeit. Auf dem Programm standen zwei Radiointerviews und ein Besuch beim Bürgermeister der Stadt, der uns sogar erlaubte, vom Balkon des herrschaftlichen Rathauses gegenüber der Kathedrale zu winken. Bleiben wird der Wegweiser zu den Partnerschulen in Warschau, Champagné und Bad Nenndorf. In Santiago wurde er – nach Rücksprache mit der öffentlichen Verwaltung – sogar in einem öffentlichen Park errichtet und aus wunderschönem Holz gefertigt. Erweitert wurde dies durch Gespräche mit Menschen, die eine Migrationsgeschichte auswiesen. Am spannendsten dabei sicherlich die Geschichte von Herrn Michael Martin (so zumindest das Pseudonym), der in seinem Leben solch gravierende Wendungen erlebte, dass er einen Verleger für seine Autobiographie gefunden hat, die in diesem Jahr erscheinen soll. Heute ein gesund wirkender 63jähriger verbrachte er sein Leben unter anderem als Fremdenlegionär, Drogendealer und Bettler, bevor er in Galizien seine heutige Ehefrau fand.
Daneben wurden zwei Tage der Projektarbeit gewidmet, bei der in multinationalen Gruppen die unterschiedlichsten Themen, die sich aus dem Programm ergaben, aufgearbeitet wurden, unter anderem für die Darstellung des Projekts auf der Projektseite der EU-Plattform eTwinning. Hier wurde deutlich, wie eingespielt das Team mittlerweile ist und wie gut die TeilnehmerInnen sich durch die vorangegangenen Treffen bereits kannten und die Unterschiede und Gemeinsamkeiten wahrnehmen, tolerieren und schätzen. Am Ende diente das Treffen so wohl doch der Selbstfindung der Teilnehmer, da man eben auch ganz viel über sich selbst erfährt, wenn man sich mit anderen Kulturen auseinandersetzt.
Kay Tomhave